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Erziehung im Fernsehen

Bei RTL läuft zur Zeit die dritte Staffel von „Teenager außer Kontrolle – Letzter Ausweg Wilder Westen“, Kabel 1 bietet „Die strengsten Eltern der Welt“, und überhaupt haben Erziehungsshows wieder mal trotz Wirtschaftskrise Hochkonjunktur. Neben zahlreichen anderen Shows („Die Super Nanny“ etc.), denen ich mich hier nicht widmen werde, treten die beiden oben genannten Sendungen dadurch hervor, dass sie auf den ersten Blick ein ähnliches Konzept haben: Problematische Jugendliche werden einige Zeit in eine andere Umgebung gebracht, wo sie mehr oder weniger erzogen werden sollen. Auf diese beiden Sendungen möchte ich hier näher eingehen, da sie auf den ersten Blick ähnlich, auf den zweiten jedoch völlig unterschiedlich sind. Die Aussagen über „Teenager außer Kontrolle“ beziehen sich auf die schon vor einiger Zeit gesendete zweite Staffel, die ich mir vollständig angetan (Spaß macht sowas nicht, erträglich wird es nur dank 1,5-facher Abspielgeschwindigkeit per SMPlayer) und dabei auch fleißig Notizen gemacht habe (eine Seite habe ich leider vermutlich verloren, der Kram lag schon seit der 2. Staffel hier). Die Aussagen über „Die strengsten Eltern der Welt“ beziehen sich nur auf die Sendung vom 7.3.2009 ab 14:15 – nochmal tue ich mir so einen Marathon nicht an.

Zunächst einmal unterscheiden sich die Sendungen in der Auswahl der „Problemjugendlichen“: Während „Die strengsten Eltern der Welt“ eher für vergleichsweise harmlose Fälle von schwierigen Jugendlichen gedacht zu sein scheint, welche keine Lust haben den Müll rauszubringen (um es mal salopp zu formulieren), geht es in „Teenager außer Kontrolle“ primär um die wirklich üblen Problemfälle von Jugendlichen, die stark in Jugendkriminalität, Drogenmissbrauch etc. abgedriftet sind und ihre Umgebug terrorisieren. Bei beiden Sendungen gehe ich davon aus, dass die Jugendlichen möglichst übertrieben schlecht dargestellt werden. Bei „Teenager außer Kontrolle“ ist es offensichtlich und extrem, bei „Die strengsten Eltern der Welt“ noch vergleichsweise harmlos. Wie schlimm die Fälle wirklich sind, kann man als Außenstehender daher kaum beurteilen. Ich gehe im Folgenden davon aus, was in den Sendungen gesagt, behauptet oder suggeriert wird. Mir ist klar, dass das teilweise falsch sein wird, aber die Annahmen sind in den seltensten Fällen vorteilhaft für meine Bewertung der jeweiligen Sendung. Falls die Sender sich aufgrund ihrer eigenen Falschinformationen ungerecht kritisiert fühlen, dürfen sie gerne die entsprechenden Punkte richtigstellen.

Der zweite Unterschied ist die Art der Serie: Während bei „Die strengsten Eltern der Welt“ scheinbar jede Folge bei einer anderen Familie untergebracht werden und in jeder Folge auch andere Jugendliche behandelt werden, fand bisher jede Staffel von „Teenager außer Kontrolle“ in je einer amerikanischen Erziehungseinrichtung statt, wobei immer eine ganze Staffel eine Gruppe Jugendlicher begleitet. Soweit die Rahmenbedingungen.

In beiden Fällen wird den Jugendlichen offenbar verschwiegen, worauf sie sich einlassen. Wie freiwillig die Jugendlichen jeweils teilgenommen haben weiß ich nicht, eine informierte Entscheidung haben sie darüber aber wohl kaum treffen können. Im Fall von „Teenager außer Kontrolle“ gab für einen Teilnehmer die Wahl zwischen Teilnahme und Jugendknast, bei „Die strengsten Eltern der Welt“ wird angedeutet, dass ein „Abenteuerurlaub“ versprochen wurde. (UPDATE: In der „Oliver Geisen Show“ vom 17.3.09 – im Stream hier bei 0:33:10 – erzählt eine Teilnehmerin von „Teenager außer Kontrolle“, dass ihr ein „Ferienlager“ versprochen wurde.)

Da hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Schon mal vorweg: Während ich „Die strengsten Eltern der Welt“ recht gut finde, habe ich wegen der ersten Staffel von „Teenager außer Kontrolle“ die Staatsanwaltschaft gebeten, das ganze auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen.

Wo liegen also die größten Unterschiede für die Jugendlichen? Nun, fangen wir mal bei der Dauer der Programme an. Bei „Die strengsten Eltern der Welt“ steht von vorne herein fest, dass der Austausch 10 Tage dauern wird. Selbst wenn es einem nicht gefällt, weiß man also, dass man nach 10 Tagen raus ist. Bei „Teenager außer Kontrolle“ ist es anders – die Dauer der „Therapie“ ist offen – so lange bis die Jugendlichen „die Therapie erfolgreich durchlaufen haben“, mindestens jedoch sechs Wochen. Davon werden mindestens drei damit verbracht, mit über 20 kg schweren Rucksäcken bis zu 15 km täglich durch die Wüste zu wandern, bei glühender Hitze tagsüber und -1 Grad Außentemperatur nachts, wenn die Jugendlichen in ihren Zelten schlafen müssen. Immer wieder wird damit gedroht, dass wer nicht mitmacht von vorne anfangen muss.

Bei „Die strengsten Eltern der Welt“ wurden die Jugendlichen diesmal bei einer religiösen Gemeinschaft untergebracht, in der recht strenge Regeln gelten und jeder hart arbeitet. Die diversen Regeln dieser Gesellschaft sind aus modern-westlicher Sicht natürlich schwer verständlich bis „mittelalterlich“, wie auch insbesondere die Kleidung, die die Jugendlichen tragen sollen. Das Mädchen beginnt zu weinen, als ihr die Umstände mitgeteilt werden, in denen sie die nächsten Tage leben wird, sowie die Tatsache, dass sie auch diverse Arbeiten erledigen muss (was sie daheim wohl recht erfolgreich vermieden hat). Ob die gegebene Begründung „Heimweh“ zutrifft oder es einfach nur zu viel auf einmal war, sei dahingestellt, offensichtlich unmenschlich ist das Ganze aber nicht gerade. Einen Fernseher gibt es nicht, MP3-Player sind nur im eigenen Zimmer erlaubt, und die Teilnehmerin soll ein Kleid tragen, welches – sagen wir einfach mal nicht gerade in die aktuellen Modevorstellungen passt. Als sie dies nicht will, wird das jedoch recht schnell akzeptiert und sie darf in ihren Jeans bleiben.

Nicht so bei „Teenager außer Kontrolle“ – die Jugendlichen bekommen nach ihrer Ankunft einheitliche Kleidung in Signalfarben, um sie bei Fluchtversuchen leichter finden zu können. Alle persönlichen Gegenstände werden ihnen abgenommen, sie müssen sich ausziehen und werden kontrolliert, damit sie keine Gegenstände am Körper verstecken. Piercings müssen (schmerzhaft) entfernt werden. Bei der nächtlichen Fahrt zur Wüste wird betont, dass die Nacht gewählt wurde,  damit die Jugendlichen sich den Weg nicht merken können, um später zu fliehen. (Ein weiterer erwünschter Nebeneffekt dürfte sein, dass sie müde sind und deswegen weniger Probleme machen.) Aber auch sonst dürfte die Fluchtgefahr gering sein – das Erziehungsprogramm setzt auf bewährte Methoden aus den russichen Gulags (Zwangsarbeits- und Umerziehungslagern). Diese waren teilweise nur leicht umzäunt – allerdings lagen in alle Richtungen mehrere dutzend Kilometer Eiswüste. Genauso wird verhindert, dass die gegen ihren Willen im Programm platzierten Jugendlichen sich aus dem Staub machen – Zivilisation ist mehrere Tagesmärsche entfernt, wie immer wieder betont wird. Allein dies dürfte deutlich machen, was von dem Programm zu halten ist. Wer jetzt davon ausgeht, dass sei ein Fake fürs Fernsehen: Ich glaube das leider nicht. Existenz und Vorgehensweise dieser Programme in den USA sind öffentlich, und auch Todesfälle sind dokumentiert.

Bei „Die strengsten Eltern der Welt“ kommunizieren die Jugendlichen regelmäßig mit ihren Eltern und können sich untereinander und mit der Gastfamilie unterhalten. Bei „Teenager außer Kontrolle“ ist jegliche Kommunikation anfangs verboten. Später dürfen sie Briefe von den Eltern empfangen, und sogar unter strenger Aufsicht mit ihnen telefonieren – aber erst, nachdem sie sich das „Privileg“ durch absoluten Gehorsam „verdient“ haben. Damit wird gleichzeitig sichergestellt, dass nur bereits gebrochene Jugendliche mit ihren Eltern sprechen und so wenig Kritik nach außen dringt. Aus ähnlichen Programmen ist bekannt, dass Versuche, die Eltern zum Abbruch der „Therapie“ zu bewegen, zu einer sofortigen Kontaktsperre bzw. einem Abbruch des Gesprächs führen oder zumindest damit gedroht wird. Die Eltern werden bei „Teenager außer Kontrolle“ generell wenig über den Verlauf des Programms informiert. (Zitat: „Ich finde es schade, dass bei euch das Netz so schlecht ist und wir nicht mehr erfahren können wie es bei euch läuft“)

In „Die strengsten Eltern der Welt“ müssen die Jugendlichen sich an den Arbeiten in der Gemeinde beteiligen – zum Beispiel den Boden mit einem Lappen wischen (weil Wischmöppe angeblich nicht so ein gutes Ergebnis bringen). Das ist zwar für westliche Verhältnisse unüblich und könnte als Schikane erscheinen, doch es ist dort üblich und alle anderen Gemeindemitglieder machen es genauso. Deswegen lässt die Teilnehmerin, die diese Aufgabe machen soll, sich auch recht schnell darauf ein. Die oft gezeigte Unwilligkeit, eine bestimmte Arbeit auszuführen, ist eindeutlig schlicht und einfach Faulheit. Rasenmähen, Waschen, Kochen oder das Zusammenbauen einfacher Möbel sind nicht gerade Arbeiten, die man Jugendlichen nicht zumuten könnte. Dennoch werden die Jugendlichen zu den Arbeiten nicht gezwungen. Einige Aufgaben (Traktor-Rasenmäher fahren) machen ihnen sogar Spaß, und auch an den Freizeitaktivitäten nehmen sie teil. Sie werden immer freundlich behandelt und keine der Aufgaben verletzt ihre Würde. Das einzige Problem was auftreten könnte ist mit der Religion bzw. der Teilnahme an Gebeten, aber auch hier scheint es keinen Druck oder gar Zwang gegeben zu haben mitzubeten.

Die Schikanen in „Teenager außer Kontrolle“ hingegen sind willkürlich und unmenschlich. Als Strafe für irgendein Vergehen muss ein Teilnehmer am Ende des Tagesmarsches 45 Minuten mit dem schweren Rucksack in der Sonne stehen. Wenn jemand nicht mehr kann, wird er weitergetrieben, schließlich sei er nur faul – Erschöpfung gibt es wohl nicht. Wer stürzt, hat das absichtlich gemacht, wer sich eine Druckstelle einhandelt, war zu faul, den Rucksack richtig zu packen. Auf weitere Details gehe ich später noch ein.

Hier möchte ich zunächst ein kurzes Fazit ziehen. Die Unterschiede dürften deutlich geworden sein. Natürlich sollte man berücksichtigen, dass die Programme an völlig unterschiedliche Arten von Jugendlichen gerichtet sind. „Die strengsten Eltern der Welt“ erreicht nur einen begrenzten Effekt, nur geringe Änderungen des Verhaltens der Teilnehmer. Dafür sind die Teilnehmer zufrieden und glücklich und haben auch während des Programms Spaß gehabt und wurden nie misshandelt.

„Teenager außer Kontrolle“ hingegen erreicht eine völlige Veränderung des Verhaltens. Die verwendeten Methoden sind mehr als fragwürdig, die Bezeichung „Gehirnwäsche“ durchaus passend. Ein Vergleich mit diversen Umerziehungsprogrammen totalitärer Regimes drängt sich geradezu auf. Ich bin mir sicher, dass einige nun sagen werden, dass dies trotzdem in Ordnung sei, schließlich werde den Jugendlichen eine kriminelle Karriere erspart etc. Dem möchte ich energisch widersprechen. Nicht umsonst ist die Würde des Menschen in Deutschland unantastbar, und nicht umsonst ist dies eine absolute Grenze, die nie überschritten werden darf, auch nicht zum langfristigen Wohle des Betroffenen. Die Debatte ist bereits in anderer Form geführt worden, z. B. beim Luftsicherheitsgesetz und beim Fall Daschner (Folter des Entführers zur Rettung einer Geisel), und dort eigentlich abschließend geklärt worden. Ich betrachte diesen Teil der Diskussion daher als abgeschlossen. Egal wie gut die Absichten sind – menschenunwürdige Methoden sind ausnahmslos durch nichts zu rechtfertigen.

Ich werde im Folgenden noch ausführlicher auf die Methoden von „Teenager außer Kontrolle“ eingehen.

Eltern dürfen in Deutschland seit vielen Jahren ihre Kinder nicht schlagen, um sie zu erziehen. Vermutlich dürfen sie sie auch nicht so lange in die Wüste setzen, bis die Kinder genau das machen, was die Eltern wollen. Hingegen scheint es völlig akzeptabel zu sein, einen kommerziellen Trupp anzuheuern, der die Kinder nimmt und in den USA in die Wüste setzt, bis die Kinder genau das machen, was die Eltern wollen. Eine Möglichkeit, das Programm abzubrechen, haben die Jugendlichen scheinbar nicht.

Der allein schon umstrittene und problematische harte Entzug gehört für die drogensüchtigen Teilnehmer zum Programm. Bei Problemen wird gerne der sogenannte „Therapeutischer Griff“ verwendet – ein Euphemismus für einen Schmerzgriff. Treffend beschreibt das eigentlich nur der amerikanische Begriff „pain compliance“ – frei übersetzt „Gehorsam durch Schmerz“. Es ist eigentlich ein gutes Zeichen, dass es für diese Methode im Deutschen nicht einmal einen passenden Ausdruck gibt. Besonders zynisch wirkt es, wenn die Schmerzgriffe noch mit Aussagen der Art „Wir helfen dir nur, dich zu kontrollieren“ garniert werden.

Die „Erziehung“ funktioniert nach dem einfachen Muster – es wird gegenüber den Teenagern der unmissverständliche Eindruck erweckt „Du machst was wir wollen oder du verreckst hier. Wir bringen dich nicht um, das macht die Wüste.“ Wo der Unterschied zu „du machst was wir wollen oder wir schlagen dich tot“ ist? Das wüsste ich auch gerne. Ich sehe ihn nicht wirklich. Drohungen werden meist recht indirekt ausgesprochen, es wird aber deutlich, dass auch Gewalt als Lösung angewendet wird. In der Regel geschieht dies jedoch nicht –  das wäre viel zu offensichtlich inakzeptabel. Viel harmloser sieht es aus, wenn die Betreuer einfach nichts tun und warten, bis der Insasse zur Vernunft kommt. Geht recht schnell, wenn man jemanden ohne Zelt oder sonstigen Schutz der Mittagssonne in einer Wüste aussetzt. Das ist dann aber natürlich keine Gewaltanwendung, nein. Damit es nicht zu offensichtlich wird, greifen die Betreuer dann doch auf normale Gewalt zurück, bevor es zu sichtbaren körperlichen Schäden kommt, mit der bereits erwähnten „pain compliance“ oder durch Drohungen.

Da die Jugendlichen den Betreuern vollends ausgeliefert sind und sich zumindest scheinbar in einem völlig rechtsfreien Raum befinden, wirken Drohungen recht gut. Vor allem, wenn plötzlich mitten in der Nacht ein Teilnehmer verschwindet und den Weg von vorne anfangen darf, weil er nicht gehorsam genug war. Diese Person wird dann dazu gedrängt, zu den anderen aufzuschließen. Die Jugendlichen werden generell isoliert gehalten, dürfen sich nicht unterhalten (vermutlich weil sonst eine blutige Meuterei zu erwarten wäre), die öde „ablenkungsfreie“ Landschaft gilt als weiterer Vorteil. Gegen Unruhe wird einfach ein höheres Marschtempo verwendet. Wer sich nicht 100% „auf das Programm einlässt“ (gehorsam alles mitmacht, seine privatesten Probleme in der Gruppe und damit dank RTL in der Fernsehöffentlichkeit erzählt) wird bestraft. Im Angebot sind Strafen wie das zusätzliche Tragen von 50 cm Baumstamm oder eine Nacht ohne Kleidung – oder nachts geweckt werden mit der Aufforderung sofort seine Sachen zu packen, ohne zu wissen was danach passiert.

Die Jugendlichen werden auch gegeneinander ausgespielt – in deutschen Schulen nicht ohne Grund verbotene Kollektivstrafen werden benutzt, es wird immer schön darauf hingewiesen, wer daran „schuld ist“ oder wie schlecht/böse jemand war.

Wie gesagt, es kann sein, dass einiges übertrieben wurde, aber ich denke eher, dass vielmehr einige Dinge unterschlagen wurden. So gab es die Drohung, dass ein Teilnehmer seine „Stufe“ verlieren würde, obwohl sonst kein Stufensystem erwähnt war. Stufensysteme werden oft in besonders unmenschlichen Erziehungseinrichtungen genutzt, siehe zum Beispiel Tranquility Bay, eine inzwischen geschlossene Folter-Erziehungseinrichtung. Auch die hygienischen Bedingungen dürften zweifelhaft sein – Feuchtigkeitstücher als einzige Hygieneform bei drei Wochen Wüstenmarsch scheinen mir nicht gerade angemessen. Handtellergroße Blasen an den Füßen werden auch als nichts besonderes dargestellt.

Es ist also recht offensichtlich, dass die Jugendlichen nicht erzogen, sondern schlicht und einfach gebrochen werden sollen. Dies geschieht in der ca. dreiwöchigen Wüstenmarsch-Phase. Danach sollen sie wieder aufgebaut und eingegliedert werden. Diese zweiteilige Taktik – Brechen (unter anderem durch Isolation) und Aufbauen – ist übrigens die klassische Gehirnwäsche-Methode. (Das Wort „Gehirnwäsche“ wird hier nicht als allgemeiner umgangssprachlicher Begriff für jede Art der Manipulation, sondern als Fachbegriff für die hier beschriebene spezifische, menschenunwürdige Methode verwendet, die auch in totalitären Regimes beliebt war.) Neben dem oft unseriösen PM-Magazin findet sich diese Information auch z. B. auf encyclopaedia britannica online (Seite leider werbeverseucht, JavaScript ausschalten!):

The techniques of brainwashing typically involve isolation from former associates and sources of information; an exacting regimen requiring absolute obedience and humility; strong social pressures and rewards for cooperation; physical and psychological punishments for non-cooperation ranging from social ostracism and criticism, deprivation of food, sleep, and social contacts, to bondage and torture; and continual reinforcement.

Wie zu erwarten ist also der zweite Teil der Therapie, der weitgehend einem vergleichsweise normalen Teamtraining gleicht, vergleichsweise harmlos. Die Gruppe geht zusammen klettern, raften etc. – auch hier findet man aber unschöne Szenen. Ein Jugendlicher verliert den Anschluss, sofort wird davon ausgegangen dass es Absicht wahr, er wird zusammengeschrien und seine Erklärungsversuche ignoriert und überbrüllt. Ob es Absicht war oder nicht, weiß ich nicht. Genauso wird grundsätzlich angenommen, dass jemand der sagt, Angst vor etwas zu haben, oder dass er sich verletzt hat, nur schauspielert. Manchmal trifft das sicherlich zu, manchmal auch offensichtlich. Dieses Abtun von sämtlichen Beschwerden als Schauspielerei ist aber auch einer der Gründe, die in einem vergleichbaren Programm einen Jugendlichen das Leben gekostet haben, siehe oben.

Selbst in der freundlichen „Aufbau“-Phase rät ein Teilnehmer allen potentiellen zukünftigen Teilnehmern vom Programm ab. Ebenfalls in dieser Phase wird einer der Teilnehmer zum Gruppenleiter ernannt und soll die anderen Jugendlichen herumkommandieren. Sofort stürzt er sich begeistert in die Aufgabe und legt ein ähnlich unfreundliches Verhalten an den Tag wie die Aufseher.

Erst ganz zum Schluss werden übrigens die Fehler der Eltern hinterfragt. Ich denke es ist eigentlich nicht normal, wenn Eltern über ihre Kinder nicht als „mein Sohn x“ sondern „der Serieneinbrecher x“ reden. Die Eltern mögen ehrlich verzweifelt sein, aber die Fehler sind nicht immer nur bei den Kindern zu sehen. Es kommen Äußerungen der Teilnehmer, dass sie sich von den Eltern enttäuscht oder das ganze Leben lang belogen fühlen, eine Mutter kommt zum durch Unterwerfung „verdienten“ Treffen nicht usw.

Das Verhalten von RTL ist eine Sache an sich – während man noch darüber streiten kann, ob es vertretbar ist, öffentlich auszustrahlen, wie die Teilnehmer ihre allerpersönlichsten Dinge gezwungenermaßen ausbreiten, sehe ich es als völlig unverantwortlich, auch die erzwungenen Geständnisse weiterer, bislang unbekannter Straftaten zu veröffentlichen. Das kann noch weitere Strafverfahren nach sich ziehen.

Wie bereits erwähnt scheint die „Therapie“ genauso wie andere inakzeptable „Erziehungs“methoden bei einigen zu wirken. Trotzdem gibt es in einem Fall einen Misserfolg, ein Teilnehmer macht trotz dieser „Therapie“ genauso weiter wie davor. Die Betreuerin kommt daraufhin extra nach Deutschland, was als besonderes Engagement dargestellt wird, aber vermutlich zum bezahlten Therapieprogramm dazugehört, da es einen Zeitrahmen gibt. Sie übt Kritik an den Eltern und scheint damit dann doch einen Erfolg zu erzielen. Hier stellt sich mir die Frage, ob es nicht von vorne herein gereicht hätte, das offensichtlich mangelhafte Verhalten der Eltern zu korrigieren. Ein Jugendlicher äußert sich nach der „Behandlung“ mit „Das Leben ist Kacke“, woraufhin seine Mutter erwähnt, dass er vorher viel Lebensfreude gehabt hätte. Ohne Nebenwirkungen ist also diese „Therapie“ nicht. Ob das nur daran liegt, dass er keine Drogen mehr nimmt, bezweifle ich. In einem Fall wurde eine Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, die sicherlich besser von vorne herein mit einer richtigen Therapie statt einem Horrortrip durch die Wüste behandelt werden sollte.

Ich hatte mir bei weitem nicht alle Schikanen und Misshandlungen notiert, und bei weitem nicht alles notierte ist in diesem Beitrag zu finden. Ich hoffe, dass die Therapeuten wirklich wenigstens mit guten Absichten und nicht aus Sadismus tun. Mir dreht sich jedes mal der Magen um, wenn ich sehe, mit was für einer Selbstverständlichkeit derartige Misshandlungen nicht nur zugelassen, sondern auch noch als geeignete Therapie im Fernsehen gezeigt werden. Bin ich der einzige, der so denkt?

Wie ich bereits erwähnte, hatte ich wegen „Teenager außer Kontrolle“ bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt. Aus Köln erhielt ich nach sehr langer Zeit (meinen Brief hatte ich längst vergessen, war zwischenzeitlich umgezogen und war über die unerwartete Post von der Staatsanwaltschaft nicht gerade erfreut) die Nachricht, dass alles in Ordnung sei. Das ganze wurde von RTL bei Tresor TV eingekauft, welche die Teilnehmer an die Aspen Achievement Academy, eine US-Jugendlichen-Erziehungseinrichtung vermittelt hat. (In solche Einrichtungen werden US-Jugendliche auch schon mal mit Gewalt verfrachtet, nachdem sie auf Bestellung der Eltern um drei Uhr nachts von 2-3 kräftigen Männern abgeholt wurden, z. B. wegen Mangel an bedingungslosem Gehorsam oder schlicht schlechten Schulleistungen. Wer mehr wissen will, lese diesen englischen Artikel. Ehemalige Teilnehmer solcher Einrichtungen bezeichnen sich übrigens oft als „survivors“ – Überlebende.) Die Verträge mit der Aspen Achievement Academy wurden dann von den Erziehungsberechtigten und „zum größten Teil“ (also nicht immer) auch von den Teilnehmern unterzeichnet. Damit ist es wohl rechtlich völlig abgedeckt, dass ein Jugendlicher gegen seinen Willen außer Landes in eine zweifelhafte Erziehungseinrichtung gebracht wird. Die Ausstrahlung der Misshandlungen ist wohl auch in Ordnung, da es nicht gewaltverherrlichend ist und nur im Rahmen der Therapie geschieht. Da solche „Erziehungsmethoden“ in den USA scheinbar erlaubt sind, dürfte es rein rechtlich unangreifbar sein. Menschenrechte und Menschenwürde scheinen nicht so wichtig zu sein. Bei der ersten Staffen hatte ich nur kleine Teile gesehen, aber ich glaube dass die zweite noch deutlich schlimmer war.

Da ich aber inzwischen das Vertrauen in meine Weltsicht verloren habe, was diese Angelegenheit angeht, werde ich das Thema für mich abschließen und mich nicht mehr darüber aufregen. Es würde mich nur interessieren – stehe ich mit dieser Meinung tatsächlich alleine dar und ist sowas ganz normal und ich sehe es übertrieben problematisch, wie mir einige sagen, oder sagt sonst einfach keiner, was er darüber denkt? In diversen Foren lese ich hauptsächlich Kommentare, die die Misshandlung loben oder zumindest lustig finden. Mir ist klar, dass die Sendung wohl eher vom typischen RTL-Publikum und zur Belustigung angesehen wird, und ich hoffe, dass das der Grund ist, warum die Kommentare mehrheitlich in die Richtung gehen. Es gab so eine Einrichtung übrigens auch in der DDR (Jugendwerkshof Torgau) und die gilt allgemein eher nicht gerade als löblich.

  1. 2009-03-14 um 20:10 GMT+0000

    Es würde mich nur interessieren – stehe ich mit dieser Meinung tatsächlich alleine dar und ist sowas ganz normal und ich sehe es übertrieben problematisch, wie mir einige sagen, oder sagt sonst einfach keiner, was er darüber denkt?
    nein, alleine damit dastehen tust du bestimmt nicht (*meld*), aber ich denke mal, dassleider die Mehrheit der Leute sowohl in DE als auch USA diese Methode für angemessen hält, inklusive der Familien Eltern …

    Scheiß Gesellschaft hier!

  2. osterlaus
    2009-03-14 um 22:42 GMT+0000

    Zunächst ein kleiner allgemeiner Videotipp: Zapp hat gerade in dieser Woche mal gezeigt, wie die Teilnehmer zu Reality Soaps kommen. Und vielleicht bringt eine Beschwerde bei der Landesmedienanstalt etwas?

  3. 2009-03-20 um 23:00 GMT+0000

    Jan, Respekt!
    Nicht nur für den Artikel oder den Brief an die Staatsanwaltschaft, sondern alleine dafür, länger als 10 Sekunden dieser Sendungen zu ertragen.

  4. Conny
    2009-04-14 um 23:20 GMT+0000

    Ich bin absolut derselben Meinung und bin sehr erstaunt, wie alle über dieser Kindermisshandlung begeistert sind! Ich habe auch den Eindruck, dass massiver Druck und Gehirnwäsche ausgeübt wird, und dass die Jugendlichen gebrochen werden. Meiner Meinung nach müsste das alles strafbar sein. Auch die Darstellung: das ist unser Problemfall XY und vorne steht Familie Sonnenschein ist für mich nicht nachvollziehbar. Das sind Erziehungsmethoden aus dem alten Rom und das Fernsehen ist beim Zusammenbruch live dabei. Sehr sehr gerne würde ich in 10 Jahren sehen, was aus denen geworden ist und ich glaube ja, dass das ungeahnte Schäden hinterlässt. Danke für den Artikel!

  5. Janus
    2009-05-16 um 13:34 GMT+0000

    Nein, auch ich kann sagen, dass Sie keineswegs alleine mit Ihrer Meinung sind. Ich fühlte mich beim Lesen Ihres Artikels sehr an mich selbst erinnert, da ich mir all diese Fragen auch gestellt habe, nachdem ich in den fragwürdigen Genuß des Zusehens bei dieser „Therapie“ kam.
    Natürlich sind die Methoden der Betreuer/innen gänzlich abzulehnen. Das, wie Programmleiterin Annegret Noble einmal sagte, der Folter… ähm… „therapeutische Griff“ nur bei Gewaltakten von Seiten der Jugendlichen zur Anwendung kommt, wurde in der nächsten Staffel widerlegt. Da wurde ein Mädchen auf diese Art gefoltert, weil es sein Zelt nicht aufbauen wollte, von Gewalt also keine Rede.
    Dann war da noch „Betreuerin“ Marlies Luepges, die ein Mädchen zusammenschreit, weil es „bitte“ und „danke“ sagte, wenn es mit Ihr sprach. („Versuch nicht, dich einzuschleimen!“)
    Ich finde das gesamte Betreuungsteam mit ihren typisch amerikanischen Methoden einfach widerwärtig. Wie Sie richtig sagten, geht es hier um keine Therapie, sondern um Gewalt, Drohungen, Zwang und unmenschliche Behandlung. Leider gibt es jedoch allzu viele vergrämte Menschen in Amerika und Deutschland, welche die Jugend zwar ingesgeheim beneiden, aber dafür umso eifriger stets mit dabei ist, wenn es darum geht, diesen „Rabauken mal zu zeigen, wo es langgeht“. Genüßlich wird dann zugesehen, wenn Burschen und Mädchen vor Kummer und Schmerz weinen („Ja, das gehört denen!“), nur, um sie endlich dort zu haben, wo der vergrämte „brave“ Sadistenbürger sie sehen möchte: Nämlich an einem Punkt, an dem es den Teenagern viel schlechter geht als Ihnen, woran sich diese Kreaturen dann aufgeilen. Eine Kreatur ist auch Frau Annegret Noble, die mit ihrer sanft- beruhigenden Stimme die größten Grausamkeiten rechtfertigt und die Barbarei vor der Öffentlichkeit als geeignete Jugendtherapie verkauft. Da sitzt sie neben einem Jungen und streichelt sanft seine Schultern, weil er weint, da sie als Therapieleiterin eben einem Schergen befohlen hat, ihn in den Foltergriff zu nehmen und dieser ihm fast den Arm aus dem Gelenk drehte. Ich würde mir wünschen, Frau Noble, Chris Schock, Frau Luepges und all die anderen „Therapeuten“ einmal vor Gericht zu sehen, wegen Verstoß gegen die Menschenrechte, Folter und Nötigung. Mord käme im Fall der Verstorbenen auch hinzu, weil die Bande eingentlich hätte wissen müssen, was stundenlanges Marschieren in der Sonne mit 15 Kg Gepäck mit dem Kreislauf eines Nicht- Extremsportlers macht. (wobei es bei der deutschen „Therapie“gruppe glaube ich noch nicht geschehen ist, das jemand starb) Aber die amerikanischen Gerichte, und auch die deutschen, die beide leider erschreckend ähnliche Ansichten zu haben scheinen, greifen nicht mal dann ein, wenn einer der Problemteenager im Leichensack aus Amerika zurückkehrt. Die sperren lieber 10 Jährige in Hand- und Fußfesseln in ein Hochsicherheitsgefängnis, weil der seiner Schwester beim Pinkeln half…
    Die ganze Show „Teenager außer Kontrolle“ ist ein Armutszeugnis für Deutschland und Amerika.

  6. Konrads Exekutive
    2009-05-20 um 22:43 GMT+0000

    Stalinistische Umerziehungsmethoden, der Zweck ‚durchjauchtigt‘ die Mittel, dynamisch und marktrelevant voll trendgerecht. Die Vortäuschung langer Haare bleibt riskant.

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