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Wie EU-Abgeordnete auf Mails von Bürgern reagieren

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 To:      XXXXXX XXXXXXXXXX
 Subject: Bitte eines EU-Bürgers
 Sent:    Tue, 21 Apr 2009 13:26:35 +0200

was deleted without being read on Sun, 24 May 2009 22:42:11 +0200

Den Namen habe ich entfernt, da die Nicht-Lese-Bestätigung hier nur exemplarisch für viele andere ist. Ich hatte an 14 Abgeordnete eine E-Mail (einzeln, jeweils mit persönlicher Anrede) mit der Bitte geschickt, bei Debatten um das Urheberrecht nicht nur die lautstark vertretenen Interessen der Lobbyisten, sondern auch die Interessen der Bürger zu beachten. Daraufhin kamen zurück:

1 englischsprachige Antwort (meine Mail war auf Deutsch an eine deutsche Abgeordnete), die vermutlich an alle ging die sich irgendwie in Richtung Urheberrecht gemeldet haben

3 Lesebestätigungen (bei allen Mails hatte ich welche angefordert)

4 Meldungen, dass die Mail ungelesen gelöscht wurde. Drei davon kamen eine Woche nachdem die Mail verschickt worden war am Abend kurz nacheinander, sodass es sich wahrscheinlich um einen Automatismus gehandelt hat – nicht dass es die Sache besser machen würde, dass die Abgeordneten sich nichtmal die Mühe machen die Mails selbst zu löschen…

Bereits letztes mal, als ich einige Abgeordnete angemailt hatte, habe ich kaum Antworten und nach exakt 3 Monaten um 3 Uhr morgens dann die Löschbestätigungen bekommen. Ich erwarte übrigens, dass noch weitere Löschmeldungen kommen werden.

Bemerkenswert ist, dass sich dieser äußerst interessante Brauch, offen auf die Interessen derjenigen, die man vertritt, zu sch***** und es offen zur Schau zu tragen, quer durch die Parteien zieht. CDU, SPD, Grüne, FDP – alle dabei.

Es könnte rein theoretisch natürlich sein, dass die E-Mails weitergeleitet und dort gelesen wurden, oder dass die entsprechenden Abgeordneten die Mail von einem Kollegen schon gezeigt bekommen haben. Gegen ersteres spricht allerdings die Tatsache, dass zu keiner E-Mail eine widersprüchliche Benachrichtigung kam (also sowohl „gelesen“ als auch „gelöscht“) und die löschenden Abgeordneten auch nicht geantwortet haben. Auch letzteres halte ich für äußerst unwahrscheinlich, zumal die Mails ja auch nicht gerade an das ganze Parlament gingen (die erste ging an fünf, die zweite an 14 Personen) und bei der ersten Mailaktion mit fünf Mails auch genau fünf Mails zurückkamen, eine Antwort, zwei Lese- und zwei Löschbestätigungen, wobei die Lesenden und die Löschenden z.T. in unterschiedlichen Fraktionen waren. Aber selbst dann wäre es äußerst ungeschickt und unhöflich, ein klares „ich sch*** auf deine Meinung“ zu schicken. Ich habe beim ersten Mal noch zurückgehalten, aber spätestens jetzt, wo genau das gleiche wieder und wieder mit mehreren Abgeordneten passiert ist, ist klar, dass das kein „bedauerlicher Einzelfall“ mehr ist, sondern System hat. Ich bin auch nicht der Einzige dem es auffällt. Es verlangt ja auch keiner, dass die Abgeordneten die Mails selbst bearbeiten, ihnen steht ja genug Geld für Assistenten zur Verfügung.

Ich frage mich: Wie sollen die EU-Abgeordneten die Interessen der Bürger vertreten, wenn sie die Bitten selbiger ungelesen entsorgen? Wenigstens sind sie so nett, es auch noch offen zur Schau zu tragen. Ich mache mir keine Hoffnungen, dass sich etwas bessert – höchstens wird der Admin die Löschbestätigungen abstellen, damit nicht mehr so auffällt, wie sehr sich die Abgeordneten um das Wahlvieh scheren.

Meine Ansicht, dass die EU absolut undemokratisch ist und nur als Instrument für Lobbyisten und bürgerrechtsfeinliche Politiker zur unbemerkten Durchsetzung ihrer Interessen ist, sehe ich dadurch voll und ganz bestätigt. Ich werde zwar durchaus wählen gehen (und zwar logischerweise Piratenpartei), aber nur, weil Nichtwählen auch nichts besser macht, die Piraten ab einem Prozent staatliche Gelder für den Wahlkampf bekommen und bei hoher Wahlbeteiligung die Hoffnung besteht, dass die nur in Bayern antretende CSU die bundesweit gezählte 5%-Hürde nicht schafft.

UPDATE: Wie der Antwort von Herbert Reul auf kandidatenwatch.de zu entnehmen ist (und ich schon vermutet habe), handelt es sich wohl um einen amoklaufenden Spamfilter, und das Problem scheint bekannt zu sein. Eigentlich wäre ja genug Zeit gewesen es zu beheben. Für die technisch interessierten: Meine Mail enthielt keine Links, HTML-Code, Anhänge, komplett großgeschriebene oder zerstückelten Wörter und wurde mit einem normalen, sauber konfigurierten Client ganz normal über den Web.de-Server abgesetzt. Sofern der Spamfilter die Mail als Spam eingeordnet hat, weil in kurzer Zeit mehrere ähnliche Mails ankamen, ist das natürlich besonders dämlich – denn gerade bei einem Parlament muss man mit solchen Dingen rechnen. Einen anderen Grund kann ich mir gerade bei der Mail aber kaum vorstellen.

Wie bereits erwähnt: Ob man die Post selbst ungelesen wegschmeißt, das von inkompetentem Personal oder wie in diesem Fall von kaputten Programmen erledigen lässt, für die eigene Post verantwortlich ist man immer noch selbst. Ich werde mich ja auch schlecht darauf berufen können, Rechnungen nicht erhalten zu haben, wenn ich eine Mülltonne hinter den Briefschlitz hänge. Die Abgeordneten löschen Ihre Mails also zwar nicht selbst, sie unternehmen aber nichts (wirksames) dagegen, dass der „technische Dienst“ das für sie übernimmt. Schön, dass das Entsorgen von Bürgeranfragen schon zentral organisiert wird…

Das ist übrigens der Grund, warum ich keinen Spamfilter nutze – ob ich den Müll selbst aus dem Posteingang entsorge oder eh die Spamtonne auf false positives (fälschlich als Spam eingestufte Mails) durchschauen muss, macht keinen großen Unterschied.

  1. Alu
    2009-05-25 um 20:43 GMT+0000

    Im Grunde ist die EU ohnehin nur ein Machtinstrument von wenigen, aber mächtigen Firmen.
    Die paar Interessenvertreter von Firmen an der Spitze der EU haben immer das letzte Wort.
    Wenn das Demokratisch sein soll, dann sind die Russen das auch.

  2. ich
    2009-05-25 um 21:05 GMT+0000

    MEPs werden mit E-Mails zugeschüttet. Du darfst dich nicht wundern, wenn du damit keinen Erfolg hast. LaQuadrature du Net hat eine Anleitung verfasst, wie man es schafft, durchzukommen: anrufen, sich erklären, anbieten noch was hinterherzuschicken, fragen ob E-Mail oder Brief oder Fax gewünscht ist und dann schicken. Dann nach ein paar Tagen anrufen und checken, ob angekommen und ob noch Fragen sind. So hat man auch das Telekom Package entscheidend ändern können. Schade, dass du die EU nur so siehst… sie hat schon viel gemacht für uns… http://whathaseuropedone.eu/

  3. Guido Strack
    2009-05-25 um 21:29 GMT+0000

    Ich habe mit meinem, in den EU-Institutionen spielenden Fall (http://tinyurl.com/ok6g2x), ganz ähnliche Erfahrungen mit EU-Parlamentariern aus Deutschland gemacht – mit P.v.Buitenen (NL) bessere, aber der kandidiert jetzt ja auch nicht mehr. U.a. deshalb hab ich jetzt auch eine E-Petition zur Abschaffung der 5% Hürde bei der Europawahl gestartet (http://tinyurl.com/EUWahlPetition).
    Admin-Edit: Linkfix

  4. Jan
    2009-05-26 um 08:36 GMT+0000

    @3 (Guido Strack): Petition habe ich mitgezeichnet, danke für den Hinweis

    @2 („Ich“): Ich bin kein Vollzeitlobbyist. Im Gegensatz zu diesen habe ich somit keine Zeit, während der Bürozeiten von Abgeordneten herumzutelefonieren, dann ein Fax zu schicken, und dann nochmal herumzutelefonieren. Während der Bürozeiten sitze ich in einem Hörsaal, irgendwo in einem nicht besonders ruhigen Arbeitsraum an der Uni oder im Zug. Und während man dort durchaus Mails schreiben kann, ist das Führen wichtiger Telefonate nicht so einfach. Eben deswegen bin ich der Meinung, dass es eine Schande ist, dass die Abgeordneten die Mails in die Tonne kippen – nur Vollzeitlobbyisten können ihre Interessen überhaupt erst an die Abgeordneten herantragen.

    Und zur von dir verlinkten Propagandaseite, die so toll behauptet was die EU schon für uns getan hätte: Viele der Punkte sind eher weniger für die Normalbevölkerung, sondern eher für große Firmen interessant, insbesondere der Binnen- und Außenmarkt und vor allem auch der „Schutz von geistigem Eigentum“. Letzterer ist übrigens das Thema der Mail gewesen. Das hat die EU nämlich nicht für, sondern gegen die Bürger getan. Den „Frieden“ den die EU angeblich geschaffen hat finde ich auch interessant. Ich habe bisher nicht mitbekommen im Krieg gewesen zu sein. Allerdings habe ich den Eindruck, dass mit „Frieden“ gemeint ist „Schutz vor Terror“ aka „überzogene Anti-Terror-Gesetze die die Bürgerrechte über Bord werfen und wegen denen ich mir nichmal was zu trinken ins Flugzeug nehmen darf“. Wenn ich die Zeit hätte, hätte ich große Lust, eine Seite nach dem Vorbild der von dir genannten Propagandaseite aufzuziehen und darzulegen, was Europa „für“ uns schon getan hat – Vorratsdatenspeicherung, Urheberrecht etc. wären nur der Anfang. Wenn schon die Werbeseite nichts besseres zu bieten hat, bestätigt dass meinen Eindruck, dass die EU kaum was positives für uns getan hat. Die paar Dinge, die nach einer Analyse vielleicht noch übrigbleiben, können die genommenen Bürgerrechte sicher nicht ausgleichen.

  5. stefan
    2009-06-18 um 08:00 GMT+0000

    Die Kritik teile ich weitestgehend – ich finde aber auch interessant dass SIE (DU ?) an keiner Stelle „Ross und Reiter“ benennen (Mail-Inhalt-Zitat und Liste der An-gemailten) ……

  6. Jan
    2009-06-18 um 13:20 GMT+0000

    @5 (Stefan): Wie bereits gesagt, es gibt zahlreiche die das so machen, und es ist auf Spamfilter zurückzuführen, also nicht rein die Schuld der einzelnen Abgeordneten. Es ist auch eher ein allgemeines Phänomen, nicht nur das Verhalten einiger weniger. Deswegen wollte ich keine konkreten Namen an den Pranger stellen, nur weil sie gerade unter den von mir angemailten waren.

    Die Mailinhalte sind für das Thema ja weitgehend egal, wenn gewünscht such ich das aber gern nochmal raus. Die zweite Mail war eine allgemein gehaltene Bitte auch die Bürgerinteressen statt der Interessen der Lobbyisten zu berücksichtigen, insbesondere beim Urheberrecht.

  7. 2009-06-21 um 16:04 GMT+0000

    Zu diesem Artikel passt auch die Erfahrung des WWC Deutschland. Dort wurden 100 Freie Wähler Verbände angemailt und es kam nur EINE EINZIGE Antwort.

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