Homo Sapiens

Ein Blick von Außen

"Kwzzycaasb nifüqy – oder, wie es in ihrer Sprache heißt: Willkommen zurück", sagte das seltsame, einäugige Wesen. Es war kalt. Schrecklich kalt. Wieso lebte er? Was war geschehen. Das letzte, woran sich John erinnern konnte, war ein Lastwagen. Nah. Sehr nah. Und dann der Aufprall. "Bleiben sie bitte liegen. Sie haben genug erlitten. Wir haben sie erwärmt. Unsere Erkunder haben sie gefunden. Wir haben sie in einem großen Gefrierschrank gefunden." Wovon zur Hölle redete dieses einäugige Schleimwesen bloß? "Wir mussten an sie einen neuen Körper befestigen", fuhr das Wesen in seiner gebrochenen Sprache fort, "ihr alter war defekt. Er schien zu starken mechanischen Kräften ausgesetzt worden zu sein." "Aha", dachte John, "ich bin doch vom Laster überfahren worden, und bin tot. Nach meinem Tod haben sie die Leiche sofort gefroren. Die zehntausend Mäuse, die ich dafür hingeblättert hab, waren es also doch wert. Ich lebe wieder."

Er blickte an seinem Körper herab. Er war weiß – weiß wie Papier, chlorgebleichtes Papier. Hautschuppen lösten sich. Er konnte Überreste einer hässlichen Tätowierung erkennen, die sicher nicht zu ihm gehörte. Er zuckte zusammen. "Wir kamen gerade rechtzeitig. Die Kühlsysteme für ihre zentrale Synapsenkugel waren bereits ausgefallen. Wir konnten nur noch ihre Synapsenkugel retten. Das Gehäuse haben wir auch ersetzt." Er blickte sich um, bis er eine glatte Oberfläche sah, in der er sich spiegelte: Er hatte das Gesicht einer Frau! Als er gerade schreien wollte, überwältigte ihn die Übelkeit. Sein Magen verkrampfte sich, er wollte sich übergeben, doch der Magen war leer. "Unsere Erkunder haben das vorhergesehen. Ihr Nahrungsbeutel wurde entleert, um Schmutz in unserer Stadt zu vermeiden. Bitte schonen sie sich – wir vermuten, dass ihrem Körper sehr kleine, unsichtbare herumschwirrende Teilchen Schäden zufügten." "OK, mal langsam", erwiderte John, der sich nicht mehr sicher war, wer er eigentlich war. Nur sein Gehirn war noch seins.

"Erstens: Wo bin ich? Zweitens: Was seid ihr? Drittens: Welches Jahr schreiben wir? Viertens: Was ist passiert?", schrie er fast. Das komische Wesen schreckte ein wenig zurück, fing dann aber sofort an, zu antworten: "Sie befinden sich in unserer Stadt, auf der Rückseite des Klumpens, der um die schwarze Kugel fliegt. Sie nennen ihn "Mond", falls wir richtig liegen. Wir sind Wesen der zweiten Kugel, sie nennen sie "Venus". Wir erforschen gerade die dritte Kugel, die sie "Erde" nennen. Nach ihrer Messung der Zeit sind ungefähr 500 Jahre vergangen, seit wir sie von der "Erde" aufgelesen haben, ihr toter Körper lag weniger als 50 Jahre dort. Wir haben sie bis zum jetzigen Zeitpunkt gefroren gehalten, um sicherzustellen, dass wir genug über sie wissen, doch wir kommen nicht weiter – was ist passiert?" "Das wollte ich von euch wissen, ich hab davon ja nicht viel mitbekommen, während ich als Eisklotz hier rumlag!", fauchte John. Das Alien wandte sich zur Seite. Es murmelte etwas, und auf dem großen Bildschirm erschien ein weißes Bild. "Es war eine große Mühe, das Farbspektrum ihrem Gesichtsfeld anzupassen. Welche Farbe sehen sie?" Er antwortete: "Weiß", woraufhin das Alien einen lauten Furz ließ, anscheinend aus Freude.

"Gut. Ich zeige ihnen nun die Erde – bitte erschrecken sie sich nicht, sie sieht geändert aus." Ein Bild der Erde erschien. Die Ozeane waren schwarz, die Erde grau. "Ja, und? Es ist ein Schwarzweißbild. Nichts besonderes, die Erde sieht genauso aus wie ich sie kenne", kommentierte John das Bild. Das Alien machte ein pfeifendes Geräusch. "Dieses Bild ist meinem Wissen nach gefärbt. Welche Farbe hat diese Rundfläche?" Es zeigte auf einen blauen Kreis, und John sagte: "Blau." Er wurde unsicher. Dieses Ding da wollte ihm nicht etwa erklären, das sei die Erde? Die Erde war Blau und Grün, das wusste doch jeder.

Das Alien machte ihm jede Hoffnung zunichte: "Die Farben der Darstellung sind korrekt. Die Farben der Erde sind anders. Außerdem haben wir seltsame herumfliegende Teilchen gesichtet, die vermutlich jeden ihrer Art ausgelöscht haben. Einige unserer Außenerkunder sind ebenfalls ausgelöscht worden, als sie einen komischen Kasten betreten haben, ungefähr hier" Es zeigte auf eine Stelle, die irgendwo dort lag, wo sich früher die Ukraine befand. "Moment mal", dachte er, "fliegende Teilchen, die Menschen töten? Unsichtbar? Viel davon auf der ganzen Welt? Noch mehr irgendwo in der Ukraine?" Plötzlich wurde ihm alles klar: Radioaktivität. Deswegen die schwarze Erde – ein Atomkrieg. Alle waren tot. Sein Magen verkrampfte sich, doch diesmal erinnerte er sich, dass es nichts gab, was er erbrechen könnte. Er wusste, dass der verstrahlte Körper ihn bald töten würde.

Das Alien zeigte ihm die Geschichte der Menschheit. Wie die Menschen im Freien lebten, dann Höhlen bauten, dann Feuer machten, dann Häuser errichteten, sich in Städten und Staaten zusammenschlossen, und so weiter. Es zeigte ihm Bilder der technischen Errungenschaften, und fragte ihn, warum die Menschheit so dumm war. Erst dachte er, er hätte falsch verstanden, doch dann wurde ihm alles klar: Die Menschheit hatte ihre Welt ausgebeutet, bis sie begann, sich gegenseitig auszubeuten. Wie konnten die Menschen das übersehen? So, wie sich die Ausgrabungen in den Tiefen der grauen Asche des nuklearen Winters darstellten, wurden die Ressourcen knapp. Die Menschheit hatte ihren Lebensraum zerstört. Immer größere Teile wurden unbewohnbar. Um den Rest hatte sich ein Krieg entwickelt, der mit der völligen Zerstörung endete.

"Nun, ich merke, dass ihrer Ansicht nach unsere Erkundungen übereinstimmend mit den Geschehnissen waren", riss ihn das Wesen aus seinen Gedanken. "Wir konnten die meisten ihrer Gegenstände identifizieren, nur diese wenige Arten nicht." Er sah ein Leuchten über sich. Das Kraftfeld, welches die heiße Atmosphäre, die die Aliens benötigten, von seiner trennte, wurde anscheinend für Materie durchlässig. Eine Platte schwebte herein. Darauf lagen eine rostige AK-47 sowie eine Panzergranate. Das Alien zeigte ihm Bilder von jeder Art von Kriegsgerät, und zeigte sich überaus interessiert, welchen Zweck diese Dinge erfüllen könnten.

Sie wussten alles, wozu ihre Computer dienten, sie kannten ihre Sprache, und doch verstanden sie nicht, wozu eine Kalaschnikow gut war. Plötzlich erkannte er warum: Eine Waffe war zu gar nichts gut. Sie diente nur dem Töten. Sein Magen verkrampfte sich wieder: Wenn die Aliens das erfahren würden, würden sie früher oder später auf die gleiche Idee kommen und dem gleichen Schicksaal begegnen wie die Menschen. Das Bild vor ihm ließ ihn erschaudern: Ein Lager voller Nuklearsprengköpfe, genug, um die gesamte Menschheit auszulöschen.

Er fragte mit zittriger Stimme: "Habt ihr eines dieser Objekte? Wenn ich es anfassen kann, kann ich euch damit erklären, wozu all diese Dinge dienen." Das arglose Alien sprach: "Wir haben eines dieser Objekte rekonstruiert, da wir der Meinung waren, dass es in eurer Geschichte am Wichtigsten war. Aber es ist gefährlich – es wirft mit den unsichtbaren tödlichen Teilchen!" Mit diesen Worten fuhr ein Roboter ihm eine Atombombe neben seine Liege. "Wir wissen nicht, was geschieht, wenn man die beiden Metalle zusammenführt. Wir haben beschlossen, dass wir dies nur durch einen von ihnen, der weiß, wie man es tut, durchführen lassen. Was tut es eigentlich?", fragte das Alien den letzten Menschen.

"Es erklärt alles", antwortete dieser. Er überlegte kurz, nahm den Schalter, und hielt inne. Er war aufgrund der Strahlung, die auf seinen Körper eingewirkt hatte, so oder so tot. Um sich musste er sich also keine Gedanken mehr machen. Er dachte an das Alien und seine Rasse. Zumindest sie musste er vor dem Verderben bewahren. Sie durften nie erfahren, warum die Erde schwarz war, ansonsten hätten bald zwei statt nur einem Planeten im Sonnensystem diese Eigenschaft. Er blickte dem Alien in sein großes, liedloses Auge, und weinte. Das Alien schien hektisch zu werden, es fragte ihn, ob es ihm gut gehe. Es hatte offenbar Angst, dass er sterben würde, ohne alles zu erklären. Es kannte keine Trauer, keine Verzweiflung, keine Tränen. Er schloss seine Augen. Er spürte den Daumen auf dem Knopf. Sein Magen verkrampfte sich, und mit ihm sein Körper.

Bericht über die Mission

Diese von professionellen Übersetzern angefertigte Übersetzung des Berichtes wurde an den schwarzen Planeten gesendet, um alles zu erklären, falls es dort doch noch ein Wesen gab, dem etwas erklärt werden konnte.

Wir haben auf dem Planeten seltsame Dinge entdeckt. Die dortigen auf Kohlenstoff basierenden zweibeinigen Lebewesen schienen sich zu Herden zusammenzuschließen. Sie hatten einen für die dortigen Verhältnisse sehr hohen Entwicklungsstand. Viele der Dinge, die sie hergestellt hatten, waren für unsere Forscher trotz unserer fortschrittlichen Technologie sehr schwer zu erklären. Inzwischen ist es uns gelungen, die meisten Dinge zu verstehen. Leider waren viele der Informationen über diese Kultur auf seltsamen, magnetischen Platten abgelegt, wodurch sie mit der Zeit verloren gingen. So kommt es, dass wir über die letzten Jahrzehnte dieser Rasse nur sehr wenige Informationen haben. Warum sie diese Art der Ablage von Informationen dem schon länger vorhandenen und stabileren Pergament vorgezogen haben, ist uns nicht bekannt. Wir gehen davon aus, dass es religiöse Gründe hatte. Es wurde weiterhin eine große Menge vermutlich ebenfalls religiöser Gegenstände gefunden, deren genauen Zweck wir nicht bestimmen konnten. Sie schienen dazu zu dienen, Eingriffe in den Körper anderer Lebewesen dieser Rasse vorzunehmen. Warum dies eigentlich geschah, wissen wir nicht, jedoch schienen die Wesen nicht immer freiwillig diesen Eingriffen zugestimmt zu haben. Es kann sich auch um sportliche Wettkämpfe gehandelt haben, deren Ziel es war, die Spieler einer anderen Herde mit dem Gerät zu treffen, ohne dabei selbst getroffen zu werden. Allerdings schienen sich die Geräte immer weiter entwickelt zu haben. Ursprünglich entstanden sind sie wohl aus einem Bedürfnis, andere unterlegene Rassen wie bei uns die (der Name der Tierart ist unübersetzbar, es handelt sich um Rattenähnliche, aber gehirnlose Wesen, die als Nahrung gezüchtet werden, Anmerkung des Übersetzers) zu jagen. Allerdings scheint es bei der Entwicklung und Anwendung dieser Geräte Unfälle gegeben zu haben, die schließlich den Planeten unbewohnbar machten und alle Einwohner töteten. Diese scheinen mit den Strahlungsteilchen zusammenzuhängen, die von bestimmten Materialien ausgehen. Diese Materialien ergeben anscheinend ein mächtiges Werkzeug, dass jedoch schwer zu handhaben ist. Aus wiederhergestellten Plänen haben wir eines der Werkzeuge nachgebaut, es aber nicht in Betrieb gesetzt, da wir Angst hatten, einen katastrophalen Unfall auszulösen. Der Mensch aus dem Raumschiff, welches wir zum schwarzen Planeten entsandt hatten, sollte uns dieses Gerät vorführen, allerdings hat er anscheinend ebenfalls einen Fehler gemacht, der unser Raumschiff vernichtete. Daher wurde beschlossen, vorerst keine Schiffe mehr zum schwarzen Planeten zu senden. Das Geheimnis dieser Rasse ist für uns unerklärlich, doch wir vermuten, dass es zum Untergang der "Homo Sapiens", wie sie sich nannten, führte. Da nicht auszuschließen ist, dass dies auch unserer Gattung drohen würde, haben wir beschlossen, diese Rasse zu vergessen. Der Planet ist nicht verwendbar, überall lagert totes Material, seltsame kleine Lebewesen fügen jedem Schaden zu, den sie berühren. Die Strahlenteilchen scheinen tödliche Wirkung zu haben.

Beigefügt ist ein alphabetisches Verzeichnis von einigen Worten, deren genaue Bedeutung wir bisher nicht erforschen konnten.

Gewalt, Hass, Hinrichtung, Kampf, Krieg (globaler thermonuklearer), Mord, Rache, Strafe, Unrecht, Vernichtung, Verrat, Zerstörung

  1. 2007-09-03 um 20:43 GMT+0000

    Hallo,

    wow, eine sehr coole und Nachdenklich stimmende Geschichte, hätte aber gerne etwas länger sein können.

    Vielen Dank für die Geschichte!

  2. Ajda
    2008-11-09 um 12:04 GMT+0000

    Hallo,
    sehr gute und zur Überlegen die Geschichte, klingt wie ein Märchen, aber wer weiss was in tausend Jahren kommt?

    Danke es war sehr interessant.

  3. Ajda
    2008-11-09 um 12:05 GMT+0000

    ….übrigens, woher kommen Sie? Der Name klingt ein wenit tschechisch..:-)

  4. Jan
    2008-11-09 um 13:13 GMT+0000

    @Adja:
    Danke für das Lob, und die Vermutung über den Namen ist ein Volltreffer: Ich bin zwar schon in Deutschland geboren, aber meine Eltern stammen aus Tschechien bzw. der Slowakei.

  5. Evelyn
    2013-02-14 um 01:10 GMT+0000

    Wow… ich bin so froh, dass ich diesen Blog entdeckt habe, endlich mal jemand, der die Dinge kritisch und unverbluemt beleuchtet! (und gut recherchiert hat, das war bis jetzt mein erster Eindruck von deinem Blog, nachdem ich die Artikel ueber die Virenprogramme gelesen habe) Jetzt hab ich Lesestoff fuer die naechsten Monate^^

    Und die Geschichte hier finde ich zwar ziemlich pessimistisch oder eher fatalistisch geschrieben, aber andererseits erscheint mir das Szenario durchaus realistisch, wenn man so das heutige Weltgeschehen betrachtet…
    Besonders beruehrt und nachdenklich gestimmt hat mich allerdings die Tatsache, dass die Aliens in deiner Geschichte nichts mit Begriffen wie Gewalt und Hass anfangen koennen und dass sie auch den Sinn der Waffen nicht verstehen. Denn, wie der Mann in der Geschichte schon richtig festgestellt hat, gibt es da keinen Sinn, nur den des Toetens und der Verbreitung von Angst und Schrecken, was ja wiederum dazu dienen soll, andere zu unterdruecken und Macht auszuueben.
    Das wirft fuer mich die Frage auf, woher eigentlich diese Machtgelueste oder die Machtgier mancher Menschen kommt. Weil Gewalt ja immer irgendwo einen Ursprung hat, und der findet sich meistens im Kopf irgendeines mehr oder wenigen verrueckten Menschen. Dieser Mensch empfindet entweder Hass, Verzweiflung, Wut oder irgendein anderes negatives Gefuehl, das dann schliesslich zu Aggression und Gewalt fuehrt. Und wenn dieser Mensch Macht ueber irgendwelche andere Menschen besitzt, kann er diese dazu benutzen, um seine negativen Gefuehle im grossen Stil an unschuldigen Menschen auszulassen, um sich danach im grossen Stil besser zu fuehlen. Das ware jedenfalls meine Theorie bzw. Ueberlegung zu der Frage.
    Was ich aber weiterhin ueberlegen wuerde, ist, ob die Welt besser waere, wenn es solche negativen Gefuehle wie Hass, Neid, Wut und wie sie alle heissen, nicht gaebe, also ob wir dann so wie die Aliens in deiner Geschichte waeren. Ich frage mich eben, ob wir ueberhaupt noch solche Dinge wie Glueck, Zufriedenheit oder Freude empfinden koennen, wenn wir das Gegenteil davon nie kennengelernt haben. Man kann die positiven Dinge im Leben doch nur zu schaetzen wissen, wenn man die negativen Seiten kennt, oder?

    Damit beende ich nun diesen nachdenklichen Kommentar und vielleicht darf ich ja auf eine Antwort hoffen :-)

    (P.S.: ich bitte um Entschuldigung wegen der umstaendlichen Schreibweise der Umlaute, liegt an meiner Tastatur :-)

  6. Annette Schmidtke
    2013-06-05 um 09:52 GMT+0000

    Flotte schreibe, gefällt mir!
    Kleine Frage, sind wir nicht eigentlich Homo Sapiens Sapiens? Ich meine, der Homo mit nur einem Sapiens war unser Vorfahr.

    • Jan
      2013-06-09 um 02:57 GMT+0000

      Wiki sagt, dass die Unterteilung wohl veraltet ist. Musste ich aber auch erst nachschlagen.

  7. Bertaleinchen
    2013-11-05 um 11:51 GMT+0000

    Ich glaub Du hast Talent zum Schreiben. Danke übrigens für die Info zur Kartensicherheit.

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