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Bundesverfassungsgericht ERLAUBT Vorratsdatenspeicherung
Für Ungeduldige gibt es unten eine Zusammenfassung, die erklärt, warum das Urteil des Bundesverfassungsgerichts absolut nicht gefeiert werden kann und eine epische Niederlage darstellt.
Der 2.3.2010 sollte ein Festtag werden. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hatte ein Grundsatzurteil angekündigt, welches in ganz Europa beachtung finden würde. Damit habe ich (und nicht nur ich) eigentlich erwartet, dass das Prinzip der Vorratsdatenspeicherung, d.h. die massenhafte, ungezielte Speicherung von Daten möglichst vieler Menschen, für verfassungswidrig erklärt wird, klargestellt wird, dass die EU nicht über dem Grundgesetz steht und dass die Politiker sowas nicht nochmal versuchen sollen. Das hätte nicht nur die VDS an sich, sondern auch andere Datenkraken wie ELENA betroffen.
Angesichts der früheren Rechtsprechung des BVerfG, z. B. zur Volkszählung, wäre das auch nicht unrealistisch gewesen.
Natürlich brach zunächst Jubel aus als im Urteil (Video) festgestellt wurde, dass die derzeitige VDS gegen das GG verstößt, und vor allem, als sie für nichtig erklärt wurde. (Oft erklärt das BVerfG, dass ein Gesetz verfassungswidrig ist, erklärt es aber nicht für nichtig. Dann würde es weiter gelten, bis die Politik es korrigiert, und das dauert. Wenn es nichtig ist, ist es direkt weg.) Dann kam noch der Hinweis, dass die Daten sofort zu löschen sind. Jubel und „STRIKE!“-Rufe folgten. So sieht eigentlich ein Sieg auf der ganzen Linie aus.
Dann kam die Begründung. Und die hatte es in sich. Der Jubel verstummte schnell, als der Schlüsselsatz „Zwar ist eine solche Vorratsdatenspeicherung mit dem Grundgesetz nicht schlechthin unvereinbar“ fiel. Wenn man noch gedacht hatte, man könnte sich im Jubel verhört haben, gab es nach der Aussage, dass eine Vorratsdatenspeicherung auch Grundgesetzkonform zu machen war, keinen Zweifel mehr. Damit hat das BVerfG die Vorratsdatenspeicherung erlaubt. Das schön aussehende Urteil war also in Wirklichkeit eine epische Niederlage.
Danach folgte nur, wie von vielen befürchtet, ein HowTo für die Regierung, wie sie die Vorratsdatenspeicherung doch einführen kann. Die Auflagen sind nur das, was eigentlich selbstverständlich ist – es muss ein hohes Sicherheitsniveau gewahrt bleiben, aber die Daten werden gespeichert.
Es folgt noch ein kleiner Lichtblick: Die Daten dürfen wenigstens nur noch für auch im Einzelfall schwere Straftaten benutzt werden. Vielleicht könnte so sogar der beliebten Taktik ein Riegel vorgeschoben werden, einfach erstmal wegen „Verdacht auf Bildung einer Terroristischen Vereinigung“ zu ermitteln, um alle Instrumente nutzen zu können. (Video: Teil 2) Die Einschränkungen beziehen sich aber natürlich nur auf den Zugriff, nicht auf die Speicherung, die das eigentliche Problem ist.
Ein weiterer Hammer folgt auf den Fuß: Der vielversprechende Satzanfang „Im Hinblick auf die Gefahren und die Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben“ – auf den man eigentlich etwas wie „ist die Verwendung der Vorratsdaten nicht zulässig“ erwartet hätte, wird stattdessen so fortgesetzt: „ist die Verwendung der Vorratsdaten gleichsam wirksam zu begrenzen.“ Also wieder kein Verbot, sondern eine ausdrückliche Erlaubnis, die Vorratsdaten auch für Nachrichtendienste und Gefahrenabwehr zu nutzen. Immerhin nur für besonders schwere und konkrete Gefahren – wie bei den ebenfalls erlaubten Onlinedurchsuchungen!
Für anonyme Beratungsdienste wird ein Übermittlungsverbot gefordert. Das dürfte sich also auch erst auf die Übermittlung, nicht auf die Speicherung, beziehen. Gespeichert werden darf also wohl auch ein Anruf bei einer anonymen Beratungsstelle.
Die Benachrichtigung des Betroffenen, die in der Regel zu erfolgen hat, darf mit richterlicher Genehmigung unterbleiben – wie auch beim Abhören. Dort wird die Ausnahme meist pauschal immer wieder verlängert, der Richtervorbehalt ist ein zahnloser Tiger. Nicht einmal eine wirksame Benachrichtigungspflicht existiert also, womit auch der geforderte Rechtsschutz für die Tonne ist, der eh nur nachträglich erfolgen würde.
Dann folgt der finale Schlag, der das Urteil zu einer absolut niederschmetternden Niederlage für jeden Datenschützer macht: „Für die nur mittelbare Nutzung von Vorratsdaten zur Erteilung von Auskünften über den Inhaber von IP-Adressen gelten weniger strenge Anforderungen.“ Ohne Einschränkung auf schwere Straftatbestände, auch für Nachrichtendienste und Gefahrenabwehr, wird einer der schwerwiegendsten Punkte der Vorratsdatenspeicherung für den Internetbereich, für zulässig erklärt. Sogar für Ordnungswidrigkeiten kann der Gesetzgeber solche Auskünfte erlauben. Soweit ich weiß, ist das deutlich schlimmer, als der Status quo. Nicht einmal ein Richtervorbehalt wird gefordert, wie in der Pressemitteilung nochmal klargestellt. (Abschnitt „Anforderungen an die mittelbare Nutzung der Daten zur Identifizierung von IP-Adressen“)
Zusammenfassung
Damit hat das Bundesverfassungericht festgestellt
- Die Vorratsdatenspeicherung ist erlaubt
- Lediglich die Abfrage der Daten wird eingeschränkt
- nur für schwere Straftaten
- Richtervorbehalt
- Keine Auskunft (aber wohl Speicherung!) bei anonymen Beratungsdiensten
- leicht umgehbare Benachrichtigungspflicht
- Zugriff auch für Gefahrenabwehr und Nachrichtendienste
- IP-Adressen dürfen Nutzern ohne wirkliche Einschränkung zugeordnet werden
- ohne Richtervorbehalt!
- sogar für Ordnungswidrigkeiten
- auch für Nachrichtendienste und Gefahrenabwehr
Dafür wurde die derzeitige Version der Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Aufgrund der obigen Punkte ist das Urteil dennoch eine völlige Niederlage.
Natürlich hätte es noch schlimmer werden können – zum Beispiel hätte es passieren können, dass die derzeitige Vorratsdatenspeicherung nicht für nichtig erklärt wird und somit weiter gilt. Und siehe da: In Absatz 309 der Begründung erfährt man, dass diese Entscheidung mit 4:4 Stimmen äußerst knapp gefallen ist. Ich versuche in einem weiteren Artikel eine Analsyse dazu und zu den unter dem Urteil aufgeführten abweichenden Meinungen einzelner Richter zu schreiben.
Petition zum Schutz vor verfassungswidrigen Gesetzen
Leider beschließen unsere Politiker immer wieder ein verfassungswidriges Gesetz nach dem anderen. Leider ist eine Verfassungsklage erst möglich, wenn das Gesetz verkündet wurde. Bis die Klage beim BVerfG durch ist vergehen dann gerne einmal zwei Jahre, in denen das Gesetz weiterhin wirksam bleibt. Viele problematische Gesetze wie das BKA-Gesetz und die Vorratsdatenspeicherung hätten uns allen viel weniger Stress bereitet, wenn umstrittene Gesetze erst vom BVerfG geprüft würden, bevor sie in Kraft treten. Da leider davon auszugehen ist, dass noch viele solcher „Sicherheits“-Gesetze folgen werden, die die grundgesetzlichen Freiheiten weiter beschneiden, sehe ich dringenden Handlungsbedarf.
Mit einer öffentlichen Petition beim Bundestag versuche ich daher, diesem Problem entgegen zu wirken. Jeder kann diese Petition mitzeichnen und damit seine Unterstützung kundtun.
Besser als die derzeitige Situation wäre nämlich, wenn der Bundespräsident jedes Gesetz prüfen und bei Bedenken dem BVerfG zur abschließenden Klärung vorlegen würde, und zwar bevor er es unterzeichnet. Genau das wird in der Petition auch gefordert. Bisher geschieht dies leider nicht wirklich, die rechtliche Lage ist auch reichlich unklar. Selbst das Luftsicherheitsgesetz, bei dem erhebliche Bedenken bestanden, wurde von Budespräsident Horst Köhler erst unterzeichnet und erst dann dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt. Der verfassungswidrige §§ 14 Abs. 3 war somit über ein Jahr in Kraft.
Ein weiteres Beispiel ist die Vorratsdatenspeicherung, bei der durch die Anschaffung der teuren Hardware bei den Providern schon mal Tatsachen geschaffen wurden, sowie das BKA-Gesetz mit all seinen Einschränkungen des Aussageverweigerungsrechts und der Online-Durchsuchung.
Das neue Petitionssystem (eine umgefrickelte Forensoftware) ist zwar noch grausamer als das alte, aber dennoch möchte ich jeden Leser (sprich: GENAU DICH!) darum bitten, sich die Petition anzuschauen und sie mitzuzeichnen. (Kleiner Tipp am Rande: Nicht auf den RSS-Feed des Petitionssystems verlassen, wenn man über neue Petitionen informiert werden will, der ist irgendwie kaputt!)
Um die Diskussion nicht unnötig aufzuspalten, bitte ich, die inhaltliche Diskussion über die Petition soweit möglich im offiziellen Forum der Petition zu führen. Dort bringe ich auch im ersten Beitrag einige Argumente, warum es kein großes Problem ist, dass der Bundespräsident dadurch mehr Macht bekäme.
Bitte weist eure Freunde auf die Petition hin, schreibt in euren Blogs darüber etc. Je mehr Leute die Petition unterschreiben, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass irgendein Politiker die Idee aufgreift und eventuell sogar noch etwas derartiges umgesetzt wird. Da das BVerfG das einzige Organ zu sein scheint, welches uns vor dem Überwachungswahn einiger Politiker schützt, wäre das meiner Meinung nach ein guter Schritt, um langfristig und vor allem nachhaltig zum Schutz unserer Freiheit beizutragen.
Onlinedurchsuchung vs. Abhören
Der alte Artikel an dieser Stelle war falsch, ich habe ihn daher gründlich überarbeitet.
Angeblich soll der NRW-„Landestrojaner“ „nur“ VoIP-Gespräche abhören und nicht Festplatten ausspähen. Wenn das stimmen würde (was es aber wohl nicht tut), wäre eine solche Maßnahme ziemlich genau damit zu vergleichen, dass einige Beamte konspirativ in die Wohnung einbrechen und eine Wanze ins Telefon installieren. Eine laschere Handhabung wäre also auf jeden Fall falsch. Sofern eine solche Wanzenaktion verboten ist, muss über die Onlinewanze gar nicht diskutiert werden.
Laut Lawblog soll ein Trojaner aber eben nicht auf das Abhören beschränkt sein:
Das Verfassungsschutzgesetz NRW liest sich etwas anders, und zwar eindeutig. In § 5 Ziff. 11 heißt es:
… heimliches Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, wie insbesondere die verdeckte Teilnahme an seinen Kommunikationseinrichtungen bzw. die Suche nach ihnen, sowie der heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme auch mit Einsatz technischer Mittel.
Selbst wenn eine normale Wanze erlaubt wäre, und der Trojaner nur abhören würde: Es muss beachtet werden, dass allein dadurch, das Behörden Trojaner nutzen dürfen, ein Dammbruch entstehen würde – kein normaler Mensch wird einen großen Unterschied zwischen „abhören“ und „ausspähen“ machen, und dann lässt sich ein neues, viel weiter reichendes Gesetz recht leicht umsetzen („Abhören ist ja vollkommen ok, steht so im Gesetz, das hier ist nur eine kleine Änderung, wir brauchen das, keine Ahnung warum das nicht direkt dabei war, ist wohl vergessen worden. Wer das ablehnt, will die Terroristen schützen und ist selbst einer“) – daher müssen vermutlich noch strengere Maßstäbe angelegt werden.
Zu hoffen wäre dann gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht auch einen eingeschränkten „Abhörtrojaner“ nicht erlaubt – denn jetzt ist als „Bundestrojaner“ die „bloße“ Abhörmaßnahme durch die Medien getrieben worden, und wenn das erlaubt wird, dann können die CDU/CSU-Politiker machen was sie wollen.
Gulli scheint recht gut darüber zu berichten.
Siehe auch: andere Vergleiche „Altmodische Maßnahme – moderne Maßnahme“