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Bestandsdatenauskunft – neues Überwachungsgesetz und Demos dagegen

2013-04-10 3 Kommentare

Die Bundesregierung hat sich mal wieder ein neues Überwachungsgesetz ausgedacht: Die Bestandsdatenauskunft. Nachdem das BVerfG (mal wieder) ausufernde und schwammig formulierte Überwachungsbefugnisse kassiert hatte, musste „natürlich“ gleich ein neues Gesetz her, um die kassierten Befugnisse wieder einzuführen und noch weiter auszuweiten.

Worum geht es dabei? Eine Kurzzusammenfassung gibt es bei bestandsdatenauskunft.de, wo auch noch weitere Probleme aufgezeigt werden. Etwas ausführlicher:

Ermittlungsbehörden und Geheimdienste werden ermächtigt, auf sogenannte „Bestandsdaten“ zuzugreifen. Was das ist, ist zwar schwammig formuliert, aber sicherheitshalber wird sehr deutlich erwähnt, dass dazu auch Passwörter zählen, und die Abfrage auch anhand von IP-Adressen möglich sein soll. Ein Richtervorbehalt ist nur beim Zugriff auf Passwörter vorgesehen. Die anderen Abfragen, insbesondere also die Identifizierung von Internetnutzern anhand der IP-Adresse, sollen bei größeren Providern sogar über eine automatisierte Schnittstelle ablaufen. Hierfür reicht es, wenn die abfragende Stelle der Meinung ist, „für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben“ diese Daten zu benötigen, und eine Rechtsgrundlage dafür vorweisen kann.

Die Rechtsgrundlage wird gleich mitgeschaffen, indem z. B. das BKA-Gesetz geändert wird (Art. 3 des Entwurfs). Danach darf das BKA Daten erheben, wenn es sie für seine Aufgaben gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 BKAG braucht. Dort steht „genau“, welche Daten das BKA braucht: „alle hierfür [gemeint: für Verfolgung und Prävention bestimmter Straftaten] erforderlichen Informationen“ – auf gut Deutsch: Alle Daten, auf die es gerade Lust hat und sie für „erforderlich“ hält.

Das ist nur ein Beispiel, es werden auch noch die Befugnisse anderer Behörden auf ähnliche Art und Weise ausgeweitet. Auf Grundrechte wurde nicht im Geringsten Rücksicht genommen. Die Verhältnismäßigkeit wird nirgendwo geprüft, in den meisten Fällen ist nicht einmal ein Richtervorbehalt gefordert (nicht dass der viel bringen würde).

Mit den Passwörtern z. B. für Facebook, Google- und E-Mail-Accounts können die Behörden dann weitere Überwachungsmaßnahmen durchführen, z. B. über Facebook den Freundeskreis ausforschen, E-Mails mitlesen, eine Onlinedurchsuchung bei Online-Speicherdiensten machen,  über den Play-Store Schadsoftware auf Android-Geräte installieren, mit der PUK die auf einer SIM-Karte hinterlegten Kontakte und SMSen lesen, mit dem Google-Accountpasswort die Bildschirmsperre eines Android-Handies aufheben. Ob sie das dürfen, dürfte die Behörden nicht interessieren. (Siehe z. B. illegaler Einsatz des Bayerntrojaners). Die strengeren rechtlichen Anforderungen für Überwachungsmaßnahmen wie die TKÜ werden somit komplett unterlaufen.

Durch die Massenabfrage von IP-Adressen können Massen-Überwachungsaktionen durchgeführt werden. Die rechtswidrige, aber trotzdem regelmäßig durchgeführte Überwachung und Zurückverfolgung von Internetnutzern, die Behördenseiten besuchen, wird damit viel einfacher und dürfte massenhaft eingesetzt werden. Bei solchen Aktionen gilt für viele Behörden sowieso das Motto „Legal, illegal, scheißegal“ – die Überwachung in NRW fand auch statt, nachdem das ausdrücklich für rechtswidrig erklärt worden war. Dank automatischer Schnittstelle wird massenhafter Missbrauch ala Dresdner Handydatenskandal viel leichter und unauffälliger.

Wer es selbst nachlesen will: Das Gesetz wurde nach anfänglicher Kritik geändert, sodass jetzt ein Originalentwurf und ein Änderungstext existiert, falls ich eine zusammengefasste Version finde, werde ich den Link hier nachtragen. (Edit: hier findet sich eine von Freiwilligen erstellte Version – Danke!)

Es handelt sich um ein Zustimmungsgesetz (das erkennt man übrigens an der Formulierung „Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates…“ im Gesetzesentwurf). Ohne die Zustimmung im Bundesrat kann die Bundesregierung das Gesetz also nicht beschließen, und dort hat sie keine Mehrheit. Leider hat die SPD bereits versprochen, das Gesetz und damit diesen eklatanten Grundrechteabbau zu unterstützen, und verkauft das als „wichtigen Kompromiss„, weil sie es geschafft haben, einige kleine Verbesserungen einzubringen. Das ändert aber nichts daran, dass die Bestandsdatenauskunft inakzeptabel ist, und die SPD diesen Grundrechteabbau ohne Not und freiwillig mitträgt. Vielleicht überlegen sich einige Landes-SPDs ja noch, ob sie da mitmachen wollen, wenn sie merken, dass die Öffentlichkeit zuschaut.

Deswegen finden bundesweit friedliche Demos in über 25 Städten statt. Los geht es bereits dieses Wochenende (bundesweiter Aktionstag ist der 14.4., einige Städte fangen schon früher an), die zweite Runde gibt es am 27.4. (auch hier machen einige Städte die Demos schon früher). Die genauen Orte finden sich z. B. im Protestwiki. In Frankfurt am Main fängt die Demo am 14.4. um 13:00 Uhr am Römer an. (Nazis sind bei den Demos übrigens ausdrücklich nicht willkommen.)

Kommt nicht nur zu den Demos, sondern weist auch andere Leute auf die Bestandsdatenauskunft und die Demos hin, und fordert sie auf, ebenfalls Leute mitzubringen und auf die BDA hinzuweisen! Aktuell ist das Thema selbst unter politisch aktiven Informatikern viel zu wenig bekannt, da die Medien bisher kaum darüber berichtet haben.

Bestandsdatenauskunft ist Scheiße – und nun?

Es gibt einige Leute, die der Meinung sind, wir müssten Alternativen zur BDA aufzeigen, um sie kritisieren zu dürfen, und die Ermittlungsbehörden würden solche Befugnisse brauchen, um uns vor Kriminalität zu schützen. Das ist im Fall der Bestandsdatenauskunft reiner Unsinn. Die Bestandsdatenauskunft in der jetztigen Form missachtet sämtliche rechtsstaatlichen Grundsätze, pfeift auf Verhältnismäßigkeit, und erlaubt nahezu beliebigen Behörden, nahezu beliebige Bestandsdaten inkl. Passwörtern abzugreifen – außer bei den Passwörtern sogar ohne jegliche richterliche Kontrolle!

Als Piraten und Bürgerrechtsaktivisten ist es nicht unsere Aufgabe oder Pflicht, Vorschläge für „bessere“ Überwachungsgesetze zu schreiben, und ich bin maßlos enttäuscht von jedem, der ohne das Problem wirklich verstanden zu haben, die darin enthaltenen Überwachungsbefugnisse kleinredet und das Gesetz verharmlost (ja, tarzun, das gilt insbesondere für Leute die im Piratenvorstand sitzen) und so die Salamitaktik des stetigen Grundrechteabbaus unterstützt.

Wir brauchen aktuell keine weiteren Erweiterung der Rechte der Ermittlungsbehörden, sondern erstmal ein Freiheitspaket, was die katastrophalen Änderungen der letzten 20 Jahre rückgängig macht. Weiterhin brauchen wir Ermittlungsbehörden, die Befugnisse und Möglichkeiten nicht missbrauchen, und bei denen Missbrauch ernsthaft geahndet wird. Wenn wir Ermittlungsbehörden haben, die sich zuverlässig an geltendes Recht halten, dann und erst dann können wir darüber nachdenken, ihnen die und nur die Befugnisse zu geben, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben zwingend benötigen, unter Einhaltung aller machbaren Vorsichtsmaßnahmen. Eine automatische Identifizierung von Internetnutzern ist unnötig, und es gibt keine Rechtfertigung dafür, irgendeine derartige Maßnahme ohne wirksamen Richtervorbehalt einzuführen.

Die BDA wäre auch dann abzulehnen, wenn Passwörter nur bei Verdacht auf bestimmte Straftaten abgefragt werden dürften, denn wer verdächtig ist, ist noch nicht schuldig. Ein Verdacht hebt das Grundrecht auf Privatsphäre nicht auf. Natürlich wäre es für die Behörden hilfreich, wenn sie alles dürften. Das darf in einem Rechtsstaat aber nicht das Kriterium sein.

Selbst wenn eine Erweiterung der Befugnisse der Behörden für sinnvoll erachten würde, kann die Diskussion darüber nicht auf Basis eines völlig überzogenen, verfassungswidrigen Gesetzes geschehen. Denn das ist die übliche Taktik „das zehnfache des Sinnvollen fordern, um am Ende das doppelte zu bekommen“. Das kann man sich etwa so vorstellen:

Regierung: „Hey, ich werde dir zehn Backsteine in den Arsch schieben“
Bürger: „WTF? NEIN! WAS FÄLLT DIR EIN!“
Regierung: „Ok, du hast gewonnen. Zwei sind ein fairer Kompromiss!“
Bürger: „Hm, immer noch scheiße, aber naja…“ *bück*

Deswegen kann es über die Bestandsdatenauskunft keinerlei Debatte geben, außer die Forderung nach kompletter Ablehnung. Wir müssen auch keinen „Gegenvorschlag“ für weitere Überwachungsgesetze machen. Unser Gegenvorschlag lautet: Die Grundrechte achten und bewahren!

Wenn wir nicht für unsere Grundrechte kämpfen, wenn wir dieses Gesetz ohne massiven Widerstand durchgehen lassen, dann war das nur der Anfang – dann folgen noch dreistere Gesetze, bis „Privatsphäre“ nur noch in Geschichtsbüchern zu finden ist.

Schlechte Nachrichten für Bürgerrechte

2011-11-07 5 Kommentare

Leider bin ich nicht direkt dazu gekommen, diese Zusammenfassung zu schreiben, aber vielleicht ist es ja auch besser, diese „tollen“ Beschlüsse unserer Regierung mal gesammelt zu sehen, nachdem man sie schon vergessen wollte. Um den folgenden Mist zu beschließen, haben die Parlamente übrigens nur zwei Tage (27. und 28.10.) gebraucht.

Fangen wir an mit dem Beschluss, dass das Erststudium nicht als Werbungskosten absetzbar ist. Über den Sinn dieser Änderung kann man sich streiten, aber der wirkliche Hammer kommt zum Schluss: Um die armen Besserverdiener unter den Studierenden nicht zu überlasten, können z. B. teure Privatunis jetzt besser abgesetzt werden. Unsere Regierung kann wohl nichts beschließen, ohne der FDP-Klientel noch ein paar Geschenke mit einzupacken.

Weiter gehts mit dem „Schuldenschnitt“ für Griechenland. Statt einem wirklichen Schuldenschnitt (ein Teil der Schulden verfällt) sollen die (wertlosen) Griechenland-Anleihen zu 50% des Nennwerts (also deutlich über dem tatsächlichen Wert) in europäische oder von der EU garantierte Anleihen umgetauscht werden. Statt einem Schuldenschnitt gibt es also auch hier Geschenke, diesmal vor allem für die Banken.

Dafür wollte unsere Regierung auch mal was dem Volk schenken, zum Beispiel kostenlose Warteschleifen und ein Ende des Abofallenbetrugs im Internet. In der entsprechenden Reform des Telekommunikationsgesetzes hat sie leider „vergessen“, Breitband-Internet zum Universaldienst zu machen (womit die Anbieter wie bei Trinkwasser und Telefon verpflichtet wären, es überall bereit zu stellen). Auch die Netzneutralität, die eigentlich in die Reform rein sollte, ist wohl nicht so ganz verankert worden. Dafür wurde in dem netten Paket mal eben die Vorratsdatenspeicherung versteckt – und zwar in letzter Sekunde und dann schnell beschlossen, damit das Parlament ja nicht merkt, worüber es gerade abstimmt.Zwar ist die neue Vorratsdatenspeicherung nicht verpflichtend, aber dafür dürfen die Provider jetzt freiwillig speichern. Angesichts dessen, dass viele das schon bisher (illegal!) getan haben, dürfte sich ein großer Datenberg ansammeln, aus dem sich die Ermittlungsbehörden bedienen können. Somit hat die Regierung zwar mal wieder „Für unsere Bürger“ auf das Paket draufgeschrieben, mit dem Inhalt spielen werden aber vor allem die Ermittlungsbehörden. Einige populäre Verbesserungen beim Verbraucherschutz (die durchaus dringend nötig waren!) hat die Regierung aber doch reingepackt – vermutlich, um es dem Bundesrat schwerer zu machen, das Gesamtpaket abzulehnen. Der Bundesrat ist nämlich fest in der Hand der Opposition, und dort muss das Gesetz noch durch. Hier ist die Hoffnung also noch nicht ganz verloren – auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Verräterpartei ihrem Namen wieder gerecht wird, obwohl sie im Bundestag dagegen gestimmt hat.

Aber wo wir bei Überwachungsgeschenken sind: Die Linke hat beantragt, jemandem etwas wegzunehmen. Nämlich der Polizei das Recht, den Bundestrojaner zu nutzen, nachdem diese gezeigt hat, wie „verantwortungsvoll“ sie damit umgehen kann (zur Erinnerung). Dass der Antrag gegen die Stimmen von Union und FDP keine Chance hat, war klar. Dennoch konnte die SPD (als Oppositionspartei!) sich nicht nehmen lassen, gegen den Antrag und somit für den Bundestrojaner zu stimmen. Würde jeder Missbrauch eines Überwachungsrechts dazu führen, dass es eingeschränkt oder zurückgenommen wird, würden die Ermittlungsbehörden vielleicht lernen, damit verantwortungsvoller umzugehen. Schade, dass diese Chance, hier den Anfang zu machen, verpasst wurde.

Stattdessen hat die Bundesregierung lieber mal die Anti-Terror-Gesetze verlängert – und nebenbei noch ein wenig verschärft, indem sie z. B. Geheimdiensten die „Selbstbedienung“ an den Flugreisedaten erlaubt haben. Auch hier hat die SPD sich wieder einmal als Verräterpartei betätigt und trotz Oppositionsrolle gegen Bürgerrechte und für die Verlängerung gestimmt. Ach, und wo wir schon bei „Anti-Terror“ sind, hier noch ein alter, aber guter Artikel von heise/c’t zur Anti-Terror-Datenbank, wo man sieht, was da so alles gespeichert wird. Die Lobby, die dafür sorgt, dass solche „Sicherheits“gesetze produziert werden, hat übrigens Jörg Tauss für Gulli aufgedeckt.

Das Europäische Parlament hat sich natürlich nicht lumpen lassen und gleichzeitig ein Abkommen beschlossen, nach dem Australien die Flugreisedaten erhält und fünfeinhalb Jahre speichern darf. Mit 463 zu 96 Stimmen übrigens, falls noch irgendwelche Hoffnungen bestanden, das EU-Parlament würde sich für Datenschutz und Bürgerrechte einsetzen. Die übermittelten Daten enthalten unter anderem Kreditkarten- und Telefonnummern, IP-Adressen und besondere Essenswünsche (aus denen vermutlich auf die Religion geschlossen werden soll, die nicht explizit übermittelt wird). Auch ein nettes Geschenkpaket, oder?

Das einzig halbwegs Erfreuliche waren die Nachrichten über den ePerso ein paar Tage später. Schade um die verschwendeten Steuergelder, aber gut für die Bürgerrechte – wie erwartet folgte der ePerso dem Schicksal der meisten IT-Großprojekte von Bundesregierungen und wurde ein grandioser Fehlschlag: Sicherheitslücken ohne Ende, kaum Angebote, kaum Nutzer bei bestehenden Angeboten, nicht einmal die Hälfte der Ausweise mit aktiver eID-Funktion – aber leider auch schon wieder Ideen, wie man den Perso z. B. mit einer DNA-Datenbank „verbessern“ könnte.

Plagiatsdoktor-Count: Neun

2011-05-15 5 Kommentare

Langsam wirds zu viel für mein Linkblog, deswegen habe ich die Sammlung hierher verschoben. Das wären schon vier fünf neun Doktortitel, die wegen Plagiaten weg (aberkannt, zurückgegeben, …) oder in Gefahr sind:

Mehr Infos gibts übrigens beim VroniPlag Wiki.

UPDATE:Die ganzen Fälle inkl. der vier Neuen habe ich mal im Piratenwiki in eine schicke Liste eingepflegt. Man könnte fast sagen, dass die Parteien- und Fachbereichstendenz sich bestätigt.

Der Fall von Matthias Pröfrock war mir neu, als ich die Liste erstellt hab. Kurz darauf gabs schon den Fall von Jorgo Chatzimarkakis – und der ärgert mich besonders ob der Dreistigkeit, mit der das Plagiieren verteidigt wird: Auf seiner Website weist er darauf hin, dass er verschiedene „Zitierweisen“ benutzt habe, unter anderem „Zitate im Fließtext, nicht eingerückt und ohne Anführungszeichen, ausgewiesen durch Fußnote“. Um sicherzugehen, dass ich ihm kein Unrecht tue, habe ich mir die „Zitate“ mal angeschaut, die Arbeit ist online verfügbar, die Plagiateliste auch. Und da werden ganze Seiten en bloc „zitiert“, mit einer Fußnote am Ende (Beispiel: Seite 55-56, Fußnote 115), ohne dass zu erkennen wäre wo das „Zitat“ anfängt (böse Zungen würden sagen: Dort, wo das Ende des vorherigen durch die Fußnote erkennbar ist). Besonders schön ist, dass eines der „Zitate“ wiederum einen (gekennzeichnet) zitierten Satz enthält, und die Fußnote dann passend bei diesem steht (Seite 54, Fußnote 113).

Interessant vielleicht auch die beteiligten Unis und Fachbereiche:

  • Guttenberg: Bayreuth, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften
  • Koch-Mehrin: Heidelberg, Philosophie
  • Pröfrock: Tübingen, Juristische Fakultät
  • Saß: Konstanz, Rechtswissenschaft
  • Chatzimarkakis: Bonn, Philosophische Fakultät

Ob der große Anteil der Jura-Fachbereiche (+ Rest Philosophie) damit zusammenhängt, dass Politiker oft Jura studieren, oder damit, dass im Jura- und Philo-Bereich überdurchschnittlich viele Studenten unterwegs sind die es mit ehrlicher Arbeit nicht so haben, weiß ich nicht.
Für eine statistisch fundierte Aussage reicht es ja (noch) nicht aus. Vielleicht ja beides und ggf. ist ja das eine auch die Ursache für das andere ;-)

Für die auffällige Häufung bestimmter Parteien könnte man das mit dem überduchschnittlichen Anteil natürlich auch…

Asse – Mathematik der Lügen

2010-12-06 3 Kommentare

In „Wahrscheinlichkeitsrechnung des Terrors“ hatte ich vor Jahren mathematisch erklärt, warum vermeintlich sichere Verfahren zum Erkennen von Terroristen (oder sonstigen Tätern) dazu führen würden, dass ziemlich viele Unschuldige eingelocht würden. Die Grundidee dabei ist: Wenn man mit einem Verfahren, was sich nur selten irrt, sehr sehr viele Menschen testet, wird es in einigen Fällen danebenliegen. Gibt es nun nur wenige Terroristen in der Gesamtmenge, meldet das Verfahren eventuell mehr Unschuldige als es Terroristen erkennt.

Mit der Asse (dem löchrigen einsturzgefährdeten Atommülllager) gibt es nun ein anderes mathematisches Problem. Da ich hier ZDF-Quellen habe, muss ich recht großzügig zitieren, weil das ZDF die Originalquellen depublizieren wird. Um die Asse wurde eine deutlich erhöhte Krebsrate beobachtet. Laut diesem ZDF-Beitrag schließt die Regierung einen Zusammenhang aber aus:

Die Anzahl der Krebsfälle rund um das marode Atomlager Asse liegen über dem Durchschnitt – einen Zusammenhang hat die Bundesregierung nun einem Bericht zufolge ausgeschlossen. Sie erklärte demnach die Erkrankungsrate mit „statistischen Zufällen“.

Ob es einen Zusammenhang besteht zwischen „erhöhter Krebsrate“ und „Da ist ein Berg in der Nähe den sie mit (krebserzeugendem) Atommüll vollgemacht haben, indem sie Fässer aus ein paar Meter Höhe mit einem Radlader abgekippt haben. Danach ist da Salzlake durchgeflossen bis sie radioaktiv verseucht im Grundwasser gelandet ausgetreten ist“. – das kann man mathematisch nicht beweisen. Um zu beurteilen, ob es „statistische Zufälle“ sind, gibt es aber ein Verfahren. Das nennt sich Hypothesentest und klingt böser als es ist. Wir können damit keine Sachen beweisen, aber wir können damit Sachen wiederlegen. Beispielsweise die Behauptung, das Auftreten sei reiner Zufall und die Wahrscheinlichkeit, Krebs zu bekommen, sei nicht erhöht. Diese Behauptung nennt sich „Nullhypothese“. Die Gegenhypothese ist „ist doch kein Zufall, die Wahrscheinlichkeit ist erhöht“. (Wohlgemerkt: Die Ursache für die Erhöhung können wir nicht feststellen!)

Zunächst einmal zu den Parametern. Im Videobeitrag wird gesagt: „Die Fälle von Blutkrebs [haben sich] verdoppelt. Es sind 18 Neuerkrankungen an Leukämie bei 10000 Einwohnern.“ (Blutkrebs = Leukämie) Damit haben wir alle Werte die wir für die Berechnung brauchen: 18 Betroffene, 10000 Einwohner, normale Fallzahl wäre 9, d.h. eine Wahrscheinlichkeit von 9/10000. Welcher Zeitraum betrachtet wird wissen wir nicht, aber aufgrund der „verdoppelt“-Aussage können wir uns sicher sein, dass die Wahrscheinlichkeit sich auf den gleichen Zeitraum bezieht wie die Anzahl der Betroffenen.

Wir brauchen also eine Binomialverteilungstabelle. Das ist mit OpenOffice Calc (oder Excel) schnell erledigt, in Spalten B und C wird jeweils eingetragen:

=BINOMVERT(A3;10000;9/10000;FALSCH)
bzw.
=BINOMVERT(A3;10000;9/10000;WAHR)

(In Spalte A sind fortlaufende Zahlen von 0 bis 100 – weiter brauchen wir die Tabelle nicht, da die Wahrscheinlichkeiten im Bereich über 100 verschwindend gering sind)

Diese Tabelle gibt an, wie wahrschenlich es ist, dass genau eine bestimmte Anzahl Krebsfälle auftritt, wenn die Wahrscheinlichkeit tatsächlich 9/10000 ist. (Spalte B gibt diese Wahrscheinlichkeit an, Spalte C die aufsummierte Wahrscheinlichkeit, also die Wahrscheinlichkeit für „bis zu x Fälle“.)

Nun entscheiden wir uns, wie genau wir es haben möchten. Ich wähle einen maximalen Fehler von 1% (hätte meine Aussage also gerne mit 99%-iger Sicherheit). Wäre ja schlimm, wenn wir unsere Politiker zu Unrecht der Lüge bezichtigen würden. Nun sind alle Vorbereitungen getroffen und wir können unseren einfachen einseitigen Hypothesentest durchführen: Wir schauen in Spalte C (der summierten Wahrscheinlichkeit) und suchen den ersten Wert >= 99%. Dann lesen wir ab: links steht zu diesem Wert 17. Das bedeutet: Wenn die Krebsrate in der Asse-Umgebung nicht erhöht wäre, würden mit mindestens 99% Wahrscheinlichkeit höchstens 17 Leukämiefälle auftreten.

Die Behauptung, die Krebsrate sei nicht erhöht und die Häufigkeit vor Ort sei reiner Zufall, ist somit widerlegt. (Es ist damit allerdings nicht bewiesen, dass das auch tatsächlich etwas damit zu tun hat, dass direkt daneben ein Berg steht, den sie mit (krebserzeugendem) Atommüll vollgemacht haben, indem sie Fässer aus ein paar Meter Höhe mit einem Radlader… ich glaub ich wiederhole mich.)

Nun kommen wir aber zur Wahrscheinlichkeitsrechnung des Terrors zurück: Würde man einen Test mit einer Zuverlässigkeit von 99% auf tausend Orte anwenden, würde man selbst wenn alles normal wäre 1%, also 10 Orte, als Betroffen ansehen. Darüber versucht die Regierung sich auch rauszureden. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass hier 1000 Orte untersucht wurden, und einer betroffen war, sondern es wurde die Umgebung eines Bergs (den sie mit (krebserzeugendem) Atommüll …) untersucht.

Um einen Zusammenhang mathematisch auszuschließen, müsste man den Test übrigens umgekehrt machen: Die Nullhypothese (das was zu widerlegen ist) wäre also „die Krebsrate ist erhöht“ und das würde man dann versuchen zu widerlegen. Wenn die Anzahl der Fälle über dem Mittelwert liegt, wird das allerdings nicht gelingen.

Was wären also mögliche Ursachen? Die Regierung stellt die Behauptung auf:

Um den beobachteten Anstieg mit Strahlung erklären zu können, müsste nach den vorliegenden wissenschaftlichen Kenntnissen über die Entstehung entsprechender Krebserkrankungen die Dosis etwa 10.000 mal höher sein als beobachtet.

Wenn man fies und unsachlich wäre, könnte man diese Steilvorlage jetzt nutzen und Spekulationen über die Strahlendosis anstellen. Die kann man schließlich auch (absichtlich) falsch/an „passenden “ Orten messen. Das halte ich jedoch für unnötig: Radioaktivität die man von außen abbekommt ist eine Sache. Nicht gerade gesund, aber nicht allzu gefährlich, wenn man es mit einem anderen Problem vergleicht: In den Körper aufgenommene radioaktive Stoffe. Da kann die Strahlendosis in der Umgebung noch so gering und unter allen gefährlichen Werten sein, wenn man strahlende Partikel im Körper hat, hat man ein Problem. Alphastrahlung kann, wenn sie von außen kommt, keinen Schaden anrichten, da sie in den oberen (toten) Hautschichten abgefangen wird. Gelangt allerdings ein Alphastrahler in den Körper, können seine Strahlen verheerende Schäden anrichten (ungefähr 20x so viel wie Gammastrahlen!). Angesichts der Lecks ist das leider zumindest kein unrealistisches Szenario.

UPDATE: Das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen ist auch der Meinung, dass das kein Zufall ist. (Danke für den Link, Felix!) Welch Überraschung. Wohlgemerkt: damit ist immer noch nicht bewiesen, dass es auch tatsächlich an der Asse liegt – allerdings ist damit geklärt, dass die Behauptung der Bundesregierung („statistische Zufälle“) eine Lüge ist.

Wie man Leute zum Gegner des ePerso macht

2010-11-14 7 Kommentare

Eigentlich habe ich die Idee eines ePerso an sich nicht generell abgelehnt. Man achte auf die Wortwahl: Nicht wirklich befürwortet, aber sowas hat auch einige Vorteile und ich war nicht wirklich überzeugt, dass die Gefahren durch politischen Missbrauch tatsächlich so groß sind, wie einige behauptet haben. (Das hat natürlich nichts mit der technischen Sicherheit zu tun, die konkrete Implementierung halte ich für, … suboptimal.)

Die Argumentation der strikten Gegner online nutzbarer Ausweisdokumente ist folgende: Sobald es eine leichte Möglichkeit gibt, die Identität des Gegenübers im Netz zu prüfen, könnte sich schleichend zur Selbstverständlichkeit entwickeln (oder politisch durchgesetzt werden), im Netz immer den Ausweis vorzuzeigen, was die Anonymität im Netz zerstören würde. Damit wären Privatsphäre und vor allem freie Meinungsäußerung mehr oder weniger tot.

Ich habe diese Gefahr bisher als eher nicht so groß gesehen, zumal der Einsatz des Personalausweises für die Seitenbetreiber teuer und bürokratisch sein soll, und war vorsichtig optimistisch – mit einer vernünftigen Technik, die nicht auf Wirtschaftsförderung sondern auf vernünftiges Funktionieren optimiert ist, hätte so eine sichere Ausweismöglichkeit durchaus auch Vorteile – sichere Logins, Bankkonten online eröffnen, Onlineshops die Ware vielleicht eher mal auf Rechnung/Bankeinzug rausrücken statt auf Vorkasse zu warten, und vieles mehr. Daher auch mein Standpunkt, die Idee eines ePerso an sich nicht generell abzulehnen.

Herr Axel Fischer, natürlich von der CDU, hat es aber geschafft, mich mit einem Schlag zu einem überzeugten Gegner des Konzepts zu machen. Er konnte einfach nicht anders, als genau den befürchteten Missbrauch unverzüglich zu fordern. Danke, Herr Fischer, dass Sie mir die Augen geöffnet haben. Ach, das ist übrigens nicht irgendwer, sondern der Vorsitzende der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, also quasi der Internetexperte der CDU.

Das meiste ist bei Netzpolitik schon gesagt worden. (Update: Dieser Heiseforumskommentar bringts auch auf den Punkt.) Die Möglichkeit, sich anonym und somit sicher vor Repressalien zu äußern, ist eine Voraussetzung für eine freie Meinungsäußerung. Diesen Grundpfeiler der Freiheit abschaffen zu wollen passt in meinen Augen zu totalitären Zensurstaaten – die Forderung kommt für mich der Forderung gleich, hier einen solchen Staat zu errichten. (Mir ist sooo klar was jetzt für ein Kommentar kommt. Er ist langweilig und weder lustig noch interessant noch nötig. Der erste der ihn postet bekommt nen Fisch in seinen Kommentar geklebt.) Jede Meinungsäußerung zuordnen zu können ist nämlich besonders dann wichtig, wenn man unliebsame Äußerungen zügig bestrafen will.

Nur eines finde ich an dieser Forderung wirklich schade: Dass sie nicht rechtzeitig vor meinen ganzen Interviews rauskam.

CDU-Beschluss zur Netzpolitik, übersetzt

2010-10-26 8 Kommentare

Netzpolitik weist auf einen CDU-Vorstandsbeschluss hin, welcher (als letzten Punkt) auch die Netzpolitik erwähnt. Mit ein wenig Übung kann man aus solchen Beschlüssen durchaus Absichten herauslesen. Für die weniger erfahrenen, hier eine Übersetzung. Zitate sind gekennzeichnet und stammen aus dem verlinkten Dokument. Hervorhebungen von mir.

Sollte sich jetzt irgendwer von der CDU gekränkt fühlen und/oder der Meinung sein, dass die Übersetzung ungenau ist: Ihr habt die nächsten Jahre Zeit, das unter Beweis zu stellen. Aber bitte insgesamt und nicht in irgendwelchen Details. Viel Glück.

 

Die Übersetzung

 

Es ist unser Ziel, die Möglichkeiten des Internets in allen Lebensbereichen optimal nutzbar zu machen und den Standort Deutschland als moderne Informations- und Kommunikationsgesellschaft weiter zu entwickeln.

 

Wir wollen das Internet kommerzialisieren wo auch immer das möglich ist und die kommerzielle (Aus)nutzung des Internets fördern. Wirtschaftliche Interessen haben Vorrang vor allem anderen.

 

Ein Netz ohne staatliche Mindestregulierung entspricht nicht unserer Vorstellung von politischer Verantwortung.

 

Wir wollen das Internet regulieren.

 

Gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass zentrale und rein nationale Regelungen nur bedingt wirksam sind, gerade auch wenn es um Kriminalität im Internet geht. Fragen der Netzpolitik sind daher im europäischen und internationalen Dialog zu beantworten, Netzaktive und Branchenverbände werden wir dabei einbeziehen.

 

Wir wissen, dass wir unseren Überwachungswahn hier nicht durchgesetzt kriegen, weil uns die Bürger zu sehr auf die Finger schauen. Deswegen werden wir den Weg über die EU-Ebene und internationale Abkommen gehen. Lobbyisten werden dabei die Gesetzesentwürfe schreiben, während wir ein paar „Netzaktive“ ihre Meinung sagen lassen (die wir natürlich ignorieren), um die Massen ruhig zu stellen.

 

Dabei wird in der CDU die Abwägung zwischen „Freiheit“ und „Sicherheit“ stets eine wichtige Rolle spielen.

 

Die Freiheit darf die Sicherheit dabei nie einschränken. Wir fordern die totale Kontrolle.

 

So halten wir das Urheberrecht und das geistige Eigentum für schützenswerte Grundlagen von Innovation und Wirtschaftswachstum in unserer Gesellschaft.

 

Das Urheberrecht wird weiter nach Wünschen der Verwerterindustrie verschärft.

 

Auch ist es unserer Ansicht nach Aufgabe des Staates, etwa im Bereich des Daten-, Kinder-, Jugend- und Verbraucherschutzes, verbindliche Rahmenbedingungen für das Netz zu schaffen.

 

Unter dem Vorwand des Daten-, Kinder- und Jugendschutzes werden wir die Überwachung und Zensur des Internets vorantreiben und in Gesetzesform gießen. Mit ein paar wirkungslosen Verbraucherschutzregeln zünden wir eine Nebelkerze um ein – wenn auch irrelevantes – Gegenbeispiel zu haben, wenn man uns daran erinnert, dass wir eigentlich fast immer für die Lobbyisten und gegen die Verbraucher arbeiten. Falls wir am Datenschutz was ändern, werden wir „klare“ und einfache Rahmenbedingungen schaffen – „einfach“ dadurch, dass wir die Einschränkungen bei der Datennutzung reduzieren.

 

Die CDU hat eine Arbeitsgruppe „Netzpolitik“ eingerichtet, die für den Bundesparteitag 2011 programmatische Positionen erarbeiten wird, mit denen wir diese Entwicklung fördern, den Herausforderungen begegnen und die Bürger über die Chancen und Risiken der digitalen Welt informieren können.

 

Wir haben eine ganze Arbeitsgruppe eingerichtet, um so zu tun, als ob wir Ahnung vom Thema haben. Gleichzeitig werden wir uns intensiv bemühen, die Freiheit im Netz weiter einzuschränken und Propaganda über das große böse Internet zu verbreiten.

Stuttgart 21: Entgegenkommen, Baustopp oder Verarsche?

2010-10-07 1 Kommentar

Derzeit wird desöfteren betont, dass in naher Zukunft wegen Stuttgart 21 weder Bäume gefällt werden noch der Südflügel abgerissen wird. Das wird dann als Entgegenkommen verkauft, oder gar als der von den Gegnern des Projekts geforderte Baustopp.

Der SWR schreibt dazu:

Mappus (CDU) bekräftigte, dass es bis zur Landtagswahl am 27. März 2011 keine weiteren Abrissarbeiten mehr gebe. „Da ist in den nächsten Monaten nichts notwendig, was in irgendeiner Weise provozieren könnte.“ Außerdem fügte er hinzu, dass bis 2011 auch kein Baum im Schlossgarten mehr gefällt werde. […] Der Südflügel sei für den Baufortschritt nicht notwendig. „Wir werden ihn so bestehen lassen. Und ich glaube, das ist ein Signal“, sagte die Ministerin

Ich lese da keineswegs ein Entgegenkommen oder einen Baustopp. Ich lese da: „Die Bauarbeiten werden wie geplant fortgesetzt. Die Bäume, die gefällt werden müssen, haben wir in der (vermutlich illegalen) Hau-Ruck-Aktion schon gefällt, und alles was wir in nächster Zeit abreißen müssen ist schon abgerissen, den Rest machen wir nach der Wahl, wenn die anderen Tatsachen geschaffen sind, das hat ja eh Zeit.“ Tolles „Entgegenkommen“. Die Medien und die Bevölkerung so zu verarschen ist aber sowohl typisch für das ganze Projekt, als auch geschickt – denn leider werden wohl zumindest einige drauf reinfallen.

Genauso toll ist übrigens, wie ständig davon gesprochen wird, dass „die ersten“ Bäume schon gefällt wurden. Nach der obigen Aussage scheint es so zu sein, als ob alle relevanten Bäume in dem Teilstück gefällt wurden. Und zwar höchstwahrscheinlich rechtswidrig gegen den enstprechenden Beschluss des Eisenbahnbundesamtes. Das problematische daran: Würde noch mindestens ein Baum dort stehen und der Beschluss umgesetzt – wie man leicht vermuten könnte wenn die Medien von den ersten gefällten Bäumen sprechen – würde sich das Bauvorhaben verzögern. Ist aber erstmal abgeholzt, bleibt nur noch die langwierige Diskussion über mögliche (Geld-)Strafen – der Bau kann weitergehen. Ich wette, die Geldstrafe bzw. eventuelle Kosten für Ersatznaturschutzmaßnahmen werden nur einen Bruchteil dessen betragen, was eine Bauverzögerung gekostet hätte, sodass sich das rechtswidrige Verhalten für die Bahn unterm Strich richtig fett lohnt. Vor allem wenn man bedenkt, dass ein Monat Verzögerung plus Winter plus (evtl. sogar vorgezogene) Landtagswahlen ein Aus für das Projekt ergeben können, bevor die Bahn ausreichend viele Fakten schaffen kann. Meiner Meinung nach müsste sichergestellt werden, dass Geldstrafen in solchen Fällen den Gewinn durch das rechtswidrige Verhalten deutlich übersteigen, oder die verantwortlichen Personen Haftstrafen bekommen.

Sollte ich mich in irgendeinem Punkt irren, hinterlasst bitte einen Kommentar. Ich bin nicht vor Ort und kann daneben liegen. Wäre in diesem Fall schön, wenn es so wäre. Ansonsten ist nämlich das, was hier als „Geste des guten Willen“ verkauft wird, eine astreine Verarsche.

Schießsport erlauben, aber Spiele verbieten?

2010-09-24 2 Kommentare

Über Fefe bin ich darauf aufmerksam geworden, dass Wolfgang Bosbach (CDU) nach dem Amoklauf in Lörrach darauf hingewiesen hat, dass man wegen eines solchen Vorfalls nicht gleich das Sportschießen verbieten könne. Da stimme ich ihm übrigens zu. Interessant wird das erst, wenn man sich vor Augen führt, dass er ein Verfechter von Computerspielverboten ist.

Diesen Widerspruch kann ich irgendwie nicht verstehen – denn wegen einzelner solcher Vorfälle etwas verbieten zu wollen, was allerhöchstens sehr indirekt damit zu tun hat, scheint mir recht unlogisch. Eigentlich wollte ich Herrn Bosbach daher über Abgeordnetenwatch fragen, aber darüber will er nicht gefragt werden:

Da ich seit vielen, vielen Jahren völlig problemlos per Brief, per Fax oder per E-Mail erreichbar bin, darf ich Sie sehr herzlich darum bitten, etwaige Fragen an mich auch unmittelbar zu adressieren, ein Umweg über Abgeordnetenwatch.de ist wirklich nicht notwendig. Sodann werde ich Ihnen gern antworten. Selbstverständlich können Sie meine Antwort auch gern veröffentlichen.

Das ist natürlich schade, denn so kann man seine Antworten auf die Fragen anderer Leute nicht lesen, aber natürlich sein gutes Recht.

Daher habe ich folgenden Text eben direkt per Mail an ihn geschickt, und werde die Antwort dann hier veröffentlichen, sobald sie eintrifft (Links waren in der Mail als Fußnoten):

Sehr geehrter Herr Bosbach,
im Rahmen der Diskussion um eine Verschärfung des Waffenrechts, welche durch die Amoktat in Lörrach entfacht wurde, haben Sie laut Zeit gesagt:
„Wegen einer solchen Tat kann man nicht Millionen von Sportlern die Ausübung ihres Sports verbieten.“

In diesem Punkt stimme ich Ihnen völlig zu. Umso mehr überrascht war ich jedoch, als ich darauf hingewiesen wurde, dass Sie sich nach dem Amoklauf in Emsdetten in einem SPIEGEL-Interview vom 23.11.2006 dafür ausgesprochen haben, gewalthaltige Computerspiele zu verbieten.

Hat sich Ihre Meinung diesbezüglich seitdem geändert?

Falls nein, warum halten Sie es für richtig, Millionen von Spielern die Ausübung ihres Freizeitvergnügens zu verbieten, obwohl Sie dies bei Sportschützen (völlig zu Recht) ablehnen?

Computerspiele eignen sich (im Gegensatz zum Sportschießen) keineswegs dazu, den Umgang mit einer Waffe zu erlernen, und sie geben dem Spieler auch keine Möglichkeit, an echte Waffen zu gelangen. Selbst wenn die Spiele – was umstritten ist – bei manchen Personen bereits vorhandene Neigungen zur Gewalt verstärken würden, scheint mir dies eine deutlich geringere Gefahr zu sein als die, die Sie beim Sportschießen bereit sind, in Kauf zu nehmen. Ein Verbot aus rein subjektiven moralischen Gesichtspunkten wäre meiner Meinung nach einer freiheitlichen Gesellschaft unwürdig und schwer nachvollziehbar – bei Sportarten wie Boxen werden ja auch keine Verbote gefordert.

Mit freundlichen Grüßen
Jan Schejbal

P.S.: Ich finde es schade, dass Sie keine Fragen über Abgeordnetenwatch entgegennehmen möchten. Das Portal erlaubt es anderen Besuchern schließlich, auch fremde Fragen und die Antworten darauf an einem Ort einzusehen und leicht zu finden.

Auf die Antwort bin ich jedenfalls gespannt.

Landtagswahl NRW – wie wählen?

2010-05-04 18 Kommentare

Aus aktuellem Anlass: Dieser Artikel ist von 2010. Die Wahlempfehlung für die Piraten gilt natürlich weiterhin, aber der Rest des Artikels könnte deutlich veraltet sein.

In Nordrhein-Westfahlen findet kommenden Sonntag die Landtagswahl statt, und wie in der Vergangenheit möchte ich auch hier meine Einschätzung über die Wahlmöglichkeiten geben und die Frage „wie wählen“ beantworten.

Vorab möchte ich darauf hinweisen, dass ich Mitglied der Piratenpartei bin, weil diese mit meiner eigenen Position am Besten übereinstimmt – somit ist auch hoffentlich nicht verwunderlich, wenn ich zur Wahl der PIRATEN aufrufe. Dennoch versuche ich, über die anderen Parteien Aussagen zu treffen. Was Fakten sind und was Meinung ist, sollte deutlich werden, und ich bemühe mich, die Fakten grundsätzlich richtig darzustellen.

Bei der Landtagswahl NRW spielt die Erststimme kaum eine Rolle, da es Ausgleichsmandate gibt. Zur Erinnerung: In jedem Wahlkreis gewinnt der Kandidat mit den meisten Erststimmen („Direktmandat“), meist haben also nur zwei Kandidaten (meist die von CDU und SPD) überhaupt eine Chance. Hier kann man das geringere Übel wählen, und zwar falls möglich bezogen auf die Person, nicht die Partei: Die Zweitstimmen bestimmen, wie viele Sitze der Partei zustehen. Die Zweitstimme ist also deutlich wichtiger als die Erststimme. Sollte eine Partei mehr Direktmandate haben als ihr Sitze zustehen, hat sie Überhangmandate, und die anderen Parteien bekommen Sitze dazu, bis die Verteilung wieder passt (Ausgleichsmandate).

Warum die Landtagswahl NRW so wichtig ist

In Deutschland gibt es neben dem Bundestag den Bundesrat, der sich aus Vertretern der Länderregierungen zusammensetzt, und der Gesetze blockieren kann. Derzeit haben die Länder mit schwarz-gelben Regierungen die Mehrheit im Bundesrat, somit können CDU und FDP die meisten Gesetze durchdrücken, wenn sie sich einig sind. Wenn nun durch die Landtagswahl in NRW eine andere Regierung als schwarz-gelb zustandekommt, fällt diese Möglichkeit weg. Die Opposition könnte dann, wenn sie sich im Bundesrat einig ist, viele Gesetze von schwarz-gelb verhindern, und so die Regierungskoalition im Bund zu Kompromissen (sprich: zur Vernunft) zwingen – siehe die Liste unten, was durch eine Abwahl von schwarz-gelb verhindert werden könnte.

Parteien

Neben den zwei „großen“ Parteien CDU und SPD können sich auch die GRÜNEN und die FDP aktuellen Umfragen zufolge sehr sicher sein, dass sie in den Landtag einziehen werden. Bei der LINKEN ist dies wahrscheinlich, aber nicht sicher.

Die PIRATEN stehen laut ZDF-Politbarometer bei 3% und sind somit die Größte der „Sonstigen“ Parteien. Die Genauigkeit solcher Umfragen lässt allerdings bei kleinen und neuen Parteien stark zu wünschen übrig, zumal die Umfragen telefonisch stattfinden und bei den PIRATEN nun einmal viele Datenschützer vertreten sind, die bei unerwünschten Anrufen eher keine Fragen beantworten. (Die Fehlerquote wird mit gut 2 Prozentpunkten angegeben.) Ein Überschreiten der 5%-Hürde ist somit nicht ausgeschlossen, aber meiner Meinung nach nicht wahrscheinlich. Unabhängig davon würde ein gutes Ergebnis für die Piraten (und 3% wären gut!) eine deutliche Warnung an die anderen Parteien sein, Bürgerrechte erst zu nehmen. Die Tendenz der FDP, dieses früher stark vernachlässigte Thema wieder ernster zu nehmen (oder zumindest so zu tun), führe ich stark auf die Existenz und Ergebnisse der PIRATEN zurück.

(Übrigens, wer der Meinung ist, die Piratenpartei wäre eine Ein-Themen-Partei: Gerade die PIRATEN NRW haben ein sehr umfangreiches Wahlprogramm!)

Die diversen rechten und rechtsradikalen Parteien (wenn man CDU und FDP nicht dazu zählt) haben keine nenenswerten Chancen, da mit NPD, Republikanern und pro NRW insgesamt drei rechte Parteien antreten und sich die Stimmen der Rechten somit auf diese Parteien verteilen. Diese Parteien werden Glück haben, wenn sie 1% erreichen – ab dieser Grenze gibt es nämlich Geld über die staatliche Parteienfinanzierung. Wer verhindern will, dass rechtsradikale Steuermittel bekommen, tut also gut daran, wählen zu gehen!

Koalitionsmöglichkeiten

Die FDP NRW hat per Parteitagsbeschluss entschieden, nach der Landtagswahl nicht mit SPD oder GRÜNEN zu koalieren. Wenn sie sich daran hält (und Parteitagsbeschlüsse sind eigentlich schon recht bindend), bedeutet das, dass die FDP nur in einer schwarz-gelben Koalition an die Macht kommen kann.

Die weiteren Koalitionsmöglichkeiten hängen davon ab, wie viele Parteien es in den NRW-Landtag schaffen. Schafft es die Linke nicht über die 5%-Hürde, fällt die Entscheidung zwischen schwarz-gelb und rot-grün. Eine große Koalition oder Schwarz-Grün wären zwar möglich, aber unwahrscheinlich. Die Umfragen können nicht vorhersagen, wer in einem solchen Szenario vorne liegen würde.

Schafft es die LINKE bei der Landtagswahl über die 5%, gibt es folgende Koalitionsmöglichkeiten, geordnet nach Wahrscheinlichkeit:

  • Große Koalition (CDU/SPD): realistische, immer mögliche Option
  • Schwarz-Grün (CDU/GRÜNE): würde vermutlich reichen, realistisch
  • Rot-Rot-Grün (SPD/GRÜNE/LINKE): unwahrscheinlich, die Parteien haben das zu oft, wenn auch nicht allzu kategorisch, ausgeschlossen und sind sich zu uneinig. Nach dem Ypsilanti-Debakel in Hessen werden SPD und GRÜNE vermutlich lieber mit der CDU paktieren, völlig ausgeschlossen ist ein Rot-Rot-Grünes Bündnis meiner Meinung nach aber nicht.
  • Rot-Grün (SPD/GRÜNE): Wunschkoalition, reicht aber wahrscheinlich nicht
  • Schwarz-Gelb (CDU/FDP): Wunschkoalition, reicht recht sicher nicht

Die vom FDP-Landesparteitag NRW kategorisch ausgeschlossenen Koalitionen halte ich für unwahrscheinlich, weil die FDP damit ihren letzten Glaubwürdigkeitsrest auch bei den überzeugten Wählern und Mitgliedern verspielen würde.

Eine Stimme für die Linke bei der Landtagswahl NRW düfte also dazu beitragen, dass Schwarz-Gelb verhindert wird, allerdings eine Große oder Schwarz-Grüne Koalition wahrscheinlicher machen.

Weitere, unwahrscheinlichere Fälle (PIRATEN im Landtag, FDP unter 5%) betrachte ich hier nicht, da der Aufwand groß und die Wahrscheinlichkeit klein sind.

Wichtige Punkte in der Bundespolitik

Ich hatte bereits die Wichtigkeit der Landtagswahl NRW für die Politik auf Bundesebene dargelegt. Was sind aber konkrete Punkte, die von einer Bundesratsmehrheit von Schwarz-Gelb abhängen? Einige davon hängen direkt davon ab, weil der Bundesrat sie blockieren kann, andere indirekt, weil die (Bundes-)Opposition mit einer Blockade anderer Gesetze drohen kann, falls Schwarz-Gelb unliebsame Gesetze durchdrückt.

UPDATE: Spiegel Online berichtet jetzt auch über die Bedeutung der NRW-Wahl und erinnert mich daran, dass ich ein Thema ganz vergessen hatte:

Steuersenkungen: Die nach der Steuerschätzung eigentlich als unrealistisch enttarnten Versprechungen von Steuersenkungen könnten von schwarz-gelb dennoch weiterverfolgt werden. Nach den bisherigen Plänen würden diese vor allem Besserverdienern zu Gute kommen und die Staatsverschuldung noch weiter in die Höhe treiben.

Atomausstieg: Die schwarz-gelbe Regierung möchte Atomkraftwerke 60 Jahre lang weiter betreiben, obwohl der Atommüll derzeit nicht sicher gelagert werden kann und die AKW-Betreiber Profitgier über Sicherheit stellen, und in der Vergangenheit Schwarz-Gelb schon Fakten unterschlagen hat, um die Atomkraft zu fördern.

Kopfpauschale: Um die unsoziale Kopfpauschalenpläne der FDP ist es vor der Wahl erstmal still geworden, begraben sind sie allerdings noch nicht. Es ist zu befürchten, dass nach der Wahl, wenn man die Wut der betroffenen Bürger nicht so sehr fürchten muss, diese Pläne wieder aus der Schublade kommen.

Vorratsdatenspeicherung: Nachdem die verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung trotz des Versprechens der FDP, sie abzuschaffen, vom Bundesverfassungsgericht gekippt werden musste, drängt die CDU darauf, sie wieder einzuführen. Vor der NRW-Landtagswahl wird das Thema lieber kleingehalten, wohl weil die PIRATEN sonst gute Chancen auf die 5%-Hürde hätten.

PKW-Maut: Dieses in Deutschland sehr unbeliebte Thema wurde immer wieder diskutiert, auch wenn man es vor der entscheidenden Landtagswahl in NRW lieber nicht allzu öffentlich machen will. Es könnte gut sein, dass es nach der Landtagswahl NRW wieder auf dem Tisch landet.

Positionen/Verhalten

Dieser Abschnitt ist alles andere als neutral. Sorry, geht nicht anders. Natürlich trifft es vor allem die die an der Regierung beteiligten Parteien, der Rest hatte ja kaum so eine schöne Gelegenheit, negativ aufzufallen.

Die FDP hat zunächst ein Steuermodell mit einem Höchststeuersatz von 35% gefordert. Davon hätten natürlich hauptsächlich Großverdiener profitiert. Dieses Modell wurde als realistisch und umsetzbar präsentiert, obwohl es schon in der geschönten Darstellung der FDP kaum gelang, die Behauptung so aufzustellen, dass man sie hätte ernst nehmen können. Dann wurde ein neues Modell präsentiert, welches plötzlich fünf Stufen und den bisher gültigen Höchststeuersatz beinhaltete. Das ist zwar immerhin eine Wende zur Vernunft, zeigt aber deutlich, dass der FDP nicht zu trauen ist. Wenn sie schon derart ihren Kernpunkt über Bord wirft, wie sieht es dann mit anderen Punkten aus? Dazu kommt die üble Hetze gegen Arbeitslose, mit der Westerwelle am rechten Rand fischen ging. Von den vollmundigen Versprechungen im Bereich der Bürgerrechte, z. B. die Online-Durchsuchung abzuschaffen, ist wenig übrig geblieben. Das Zugangserschwerungsgesetz ist ebenfalls weiterhin in Kraft!

Fazit: Wer der FDP vor der Bundestagswahl im Bezug auf Bürgerrechte vertraut hat, ist eben reingefallen. Absehbar, aber naja. Wer aber nochmal in die Falle tappt und sich wieder verarschen lässt, ist nicht mehr zu retten. Ohne den Druck durch die Landtagswahl in NRW und die aufstrebenden PIRATEN wäre das sicher noch schlimmer ausgefallen, und ich denke, nach der Landtagswahl wird die FDP wie bisher die Grundrechte vergessen.

Auch in anderen Bereichen hat die FDP ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Nicht vergessen sollte man unter anderem das Steuergeschenk für Hotels und weitere Punkte, die zu zahlreich sind, um sie hier aufzuführen – ich verweise da nur auf die Suche nach „FDP“ in meinem Microblog.

Bei der CDU kann man zunächst einmal die gleiche Suche machen, auf die bereits bei der FDP genannten, mit ihr gemeinsam verbockten Punkte hinweisen, und was Bürgerrechte angeht, muss ich garnicht erst anfangen – die CDU ist für Netzsperren, Vorratsdatenspeicherung und eine Reihe weiterer bürgerrechtsfeindlicher Vorhaben. Das Sahnehäubchen ist nur noch der für die CDU scheinbar obligatorische neue Parteispendenskandal.

Vor diesen Gesichtspunkten verstehe ich nicht, wie irgendwer noch CDU oder FDP wählen kann.

Was Bürgerrechte angeht, ist die SPD aber auch nicht unbedingt immer besser: In RLP hat die SPD-Regierung mal eben Online-Durchsuchungen und ähnliche Maßnahmen abgenickt.

Daher: Wem etwas an Bürgerrechten und Datenschutz liegt, möge bei der Landtagswahl in NRW die Piraten wählen und zumindest ein klares Zeichen als Warnung an die anderen Parteien setzen, selbst wenn es nicht für die 5% reicht. Von den 5 etablierten Parteien halte ich nur die Grünen und Linken für (bedingt) wählbar. Die SPD hat es zwar noch nicht so tief in die Nichtwählbarkeit geschafft wie die CDU und FDP, ist aber auf dem besten Weg dorthin.

Weitere Hinweise, z. B. weitere Vorhaben, die vor der Landtagswahl lieber nicht erwähnt werden und nach der Wahl zu erwarten sind, nehme ich gerne über die Kommentarfunktion unten entgegen.

ELENA: Legal, illegal, scheißegal?

2010-03-14 5 Kommentare

Beim ELENA-Verfahren werden ziemlch persönliche Daten über jeden einzelnen Arbeitnehmer, unter anderem Höhe des Gehalts, Arbeitszeit in Stunden, Fehlzeiten und vieles mehr bis zu fünf Jahre lang gespeichert. Das finde ich gerade als Pirat natürlich nicht schön. Zudem wird um die ganze Geschichte ein ziemliches Verwirrspiel betrieben – angeblich sollen bestimmte Daten nicht mehr gespeichert werden, was handfestes gibt es aber nicht und Infos sind rar.

Nach § 103 Abs. 4 SGB IV hat man aber das Recht, bei der Zentralen Speicherstelle (ZSS) und der Registratur Fachverfahren (RFV) Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten zu verlangen. Alternativ könnte man sich auch an die abrufenden Behörden wenden – da bis 2012 aber kein Abruf erfolgt, bleibt dieser Weg versperrt. Der direkte Weg wird einem aber auch so schwer wie möglich gemacht. (Wen die Odyssee durch das virtuelle „Haus, das Verrückte macht“ nicht interessiert, kann hier klicken, um direkt zu lesen, wie beim ELENA-Verfahren offen gegen geltendes Recht verstoßen wird.)

Praktischerweise ist „der Teilnehmer“ (also jeder, dessen Daten gegen seinen Willen bei der ZSS gespeichert werden) über die Erreichbarkeit von ZSS und RFV zu informieren. Leider steht im Gesetz nicht, durch wen er zu informieren ist. Ich wurde jedenfalls nicht informiert. Wenn man im Internet sucht, findet man allerdings schnell die Website http://www.das-elena-verfahren.de. Das Impressum dort verweist auf die Deutsche Rentenversicherung Bund und nennt auch eine Faxnummer.

Faxt man seine Auskunftsanfrage nun dahin, erhält man ein Schreiben zurück, in dem die DRV erklärt, nicht zuständig zu sein, man möge sich bitte an die Hotline wenden – eine 01805-Nummer, die vom Handy damals bis zu einem Euro pro Minute kostete. (Das hat sich inzwischen geändert, jetzt sind es „nur“ noch 42 Cent.) Auch wird auf die wenig hilfreiche Website verwiesen. Telefonisch kommt man nach einigem hin und her auch nicht viel weiter.

Man kann herausfinden, dass die ZSS bei der Datenstelle der Träger der Rentenversicherung (DSRV) angesiedelt ist. Die hat keine Website, wird nur immer wieder von der DRV erwähnt. Beim zentralen „Servicetelefon“ der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zahlt man zwar nichts (0800), bekommt aber auch keine hilfreichere Antwort auf die Frage, wie man denn die DSRV erreichen könnte, außer einem Verweis auf eine andere, auch nicht zuständige Stelle (klang ziemlich nach der erstbesten Nummer, die die Mitarbeiterin gefunden hat). Dort wollte man nachfragen und mich zurückrufen. Den Rückruf habe ich leider verpasst, da er deutlich länger als versprochen auf sich warten ließ und ich dann das Handy ans Ladegerät gehängt habe.

Allerdings hatte ich erfahren, dass die DSRV in Würzburg sitzt. Mit einigem Gegoogle findet sich dann ein PDF, wo eine Adresse, Telefon- und Faxnummer und sogar eine E-Mail-Adresse der DSRV genannt ist. Bei einem Anruf unter der Telefonnummer erfährt man dann, dass sich die Durchwahlstruktur geändert hat, und sogar die korrekte Durchwahl.

Unter der neuen Durchwahl habe ich tatsächlich jemanden erreicht, der mir eine (vierzehnstellige!) Faxnummer der Hotline nennen konnte, dort werde das Fax dann weitergeleitet.

Als Postadresse war „Berner Straße 1, 97084 Würzburg“ angegeben, aber ich habe dann doch das günstigere, einfache und schnellere Fax bevorzugt und an die mir genannte Nummer 0931-6002390252 gefaxt (interessanterweise meldet sich das Fax als „0931 6002390 000“).

Die Antwort ist nun eingetroffen und hier als Scan verfügbar. Ohne sich die Mühe zu machen, das Schreiben zu unterzeichnen oder einen Ansprechpartner anzugeben, wird mir nach über drei Wochen mitgeteilt, dass man den mir gesetzlich zustehenden Auskunftsanspruch bis 2012 nicht erfüllen kann/will. Hier wird also offen auf geltendes Recht gepfiffen. Garniert wird das Ganze noch mit einem erneuten Verweis auf die kostenpflichtige Hotline, übrigens mit einem inzwischen illegalen Kostenhinweis. (Abmahnung, anyone? ;-)) Immerhin erfährt man eine weitere (Postfach-)Adresse, an die man seine Anfragen richten könnte, wenn man sich selbst überzeugen will („Deutsche Rentenversicherung Bund, Geschäftsbereich Informationsverarbeitung, Postfach 3125, 97041 Würzburg“).

Ich denke, es ist wenig zielführend, Massen von Auskunftsanfragen an die oben erwähnten Stellen zu schicken, auch wenn es wohl auffallen würde. Ich denke, da sitzen nur irgendwelche armen Schweine, die den Kram ausbaden müssen, den die Politik verbockt hat. Ich werde zwar auch mal beim Bundesdatenschutzbeauftragten nachhaken, was das denn soll, aber vor allem werde ich mich direkt an die Verantwortlichen wenden – also Politiker. Das Gesetz wurde laut Plenarprotokoll mit den Stimmen von Internetausdruckern und Verräterpartei (CDU und SPD) beschlossen. (Die FDP hat sich aus Prinzip enthalten, den Datenschutz aber nur am Rande erwähnt. Die Linke hat das Gesetz abgelehnt, die Grünen haben sich enthalten und den schlechten Datenschutz immerhin kritisiert. In einer späteren Sitzung – Plenarprotokoll – ging es nur noch um Änderungen damit der Bundesrat zustimmt.)

Denkt dran, in NRW stehen Wahlen an. Die nächsten Monate werden die Politiker nicht so offen auf die Bürger sch***en wie sonst.

Eine Klage dagegen ist auch sehr verlockend. Kennt sich jemand gut damit aus und möchte mir allgemeine Tipps geben, wie ich weiter vorgehen könnte? Eine Verfassungsbeschwerde direkt gegen das Gesetz wäre AFAIK nur noch bis ca. Ende des Monats möglich (Jahresfrist), wenn überhaupt. Einen Anwalt dafür kann ich mir allerdings nicht leisten. Freiwillige vor! UPDATE: Der Foebud macht eine.

Update 2: Die versprochene Mitmach-Massenverfassungsbeschwerde gegen ELENA ist jetzt da. Jeder, der eine schriftliche Benachrichtigung hat, dass seine Daten übermittelt werden, kann unter https://petition.foebud.org/petitions/6/start mitmachen. Alle anderen (noch nicht Benachrichtigte, Arbeitgeber, Arbeitslose, Selbstständige) können bei dieser Verfassungsbeschwerde nicht mitmachen, weil der Aufwand dafür zu hoch wäre.

Habt ihr noch weitere Vorschläge? Dann bitte ab in die Kommentare damit!

Es gibt Parteien, die kann man nicht kaufen…

2010-01-18 2 Kommentare

Von mir erstellter Piratenpartei-Spot, der die Lobby-Parteispenden an die CSU und FDP satirisch aufgreift. (Youtube-Direktlink)

Die FDP hat mit Unterstützung der CSU in der Schwarz-Gelben Koalition durchgesetzt, dass für die Unterkunft in Hotels nur noch der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7% gilt. Dieses Steuergeschenk wird von allen Seiten, auch von Wirtschaftsexperten, kritisiert und für reine Klientelpolitik gehalten – sogar in der Koalition selbst gibt es Kritik.

Nun hat sich herausgestellt, dass CSU und FDP über Unternehmen des Hauptaktionärs einer Hotelgruppe insgesamt fast 2 Millionen an Spenden erhalten haben.

Parteispenden an die CSU: 820.000 EUR
Parteispenden an die FDP: 1.100.000 EUR
7 Prozent Mehrwertsteuer: unbezahlbar

Es gibt Parteien, die kann man nicht kaufen.
Wähle Piraten.

Credits:
Bild von Merkel, Seehofer und Westerwelle von Oliver Wolters. Lizenziert unter CC-BY-SA 3.0 DE

Idee, Sprache, Umsetzung: Jan Schejbal

Video ebenfalls lizenziert unter CC-BY-SA 3.0 DE

Ergänzung: Hier nochmal als Standbild-Version:

Petitionen (und Piratenshirts)

2009-11-29 2 Kommentare

Ich möchte mal wieder einige akutelle Bundestagspetitionen vorstellen, welche ich für wichtig, sinnvoll und mitzeichnenswert halte. Die Liste ist nicht vollständig, da sie sonst zu lang wäre. Es existiert ein RSS-Feed mit den Petitionen – nutzt ihn! Normalerweise mache ich solche Ankündigungsposts nicht, aber einige der Petitionen sind meiner Meinung nach zu wichtig, um sie nicht zu erwähnen. Bitte macht auch andere auf die Petitionen aufmerksam! Und wo ich schon bei den Ankündigungen bin, nutze ich diesen Artikel auch gleich, um auf eine günstige Möglichkeit hinzuweisen, an Piratenpartei-Shirts zu kommen (siehe ganz unten) – für einen eigenen Artikel reicht das nicht, aber unerwähnt möchte ich es auch nicht lassen.

Diese Petitionen sind offizielle Petitionen an den Petitionsausschuss des deutschen Bundestags. Ab einer Anzahl von 50000 Mitzeichnungen darf normalerweise der Petent seine Bitte persönlich vortragen und erläutern. Die Petitionen werden zumindest vom Petitionsausschuss bearbeitet und können bei hoher Beteiligung einige Politiker vielleicht ins Grübeln bringen, ob sie nicht vielleicht doch im Sinn der Bevölkerung abstimmen sollten. Natürlich werden auch viele Petitionen kaum beachtet – bei großen Mitzeichnerzahlen kann aber auch die Presse darauf aufmerksam werden und eine öffentliche Debatte entstehen.

Weil sie bereits am 2.12.2009 endet, möchte ich mit einer Petition zum Wahlrecht beginnen. Diese fordert die Einführung einer „Alternativstimme“, falls die erste Stimme z. B. aufgrund der 5%-Hürde nicht berücksichtigt wird. Durch die 5%-Hürde werden Wähler davon abgehalten, kleine Parteien zu wählen, denn schließlich könnte ihre Stimme so verloren sein, also wählen sie lieber das kleinere Übel unter den etablierten Parteien. Die Petition würde zwar die Wahl komplizierter machen, dafür aber dieses Problem beheben und so die Demokratie meiner Meinung nach deutlich fördern. Hier gehts zur Petition.

Die nächsten zwei Petitionen drehen sich um typische Internet- oder „Piraten“themen: Um das Abmahnunwesen einzudämmen, fordert diese Petition eine zwingende kostenlose Vorstufe zur Abmahnung. (Mitzeichnung bis 5.01.2010) Klar gibt es auch berechtigte Abmahnungen, und vielleicht sollten diese auch vergütet werden. Allerdings nimmt der Missbrauch immer schlimmere Ausmaße an, ohne dass z. B. die Rechtsanwaltskammern dagegen wirksam vorgehen würden. Ein einfacher Brief oder eine einfache E-Mail können auch ohne Anwalt vieles bewirken und es sollte zum normalen Umgang gehören, ersteinmal miteinander zu reden, bevor man sich einen Anwalt auf den Hals hetzt.

Diese Petition fordert (partiellen) „Open Access“ – wissenschaftliche Publikationen, die mit Steuergeldern finanziert wurden, sollen auch kostenlos öffentlich zugänglich sein, und so der Allgemeinheit dienen – diese hat ja auch dafür bezahlt. (Mitzeichnung bis 22.12.2009)

Damit wären wir auch schon bei der allgemeinen Politik: Diese Petition fordert die (Wieder-)Einführung einer Börsenumsatzsteuer. Diese wurde 1991 von Schwarz-Gelb abgeschafft. Eine Börsenumsatzsteuer produziert nicht nur Einnahmen, mit welchen sich die in der Krise angehäuften Staatsschulden zumindest teilweise bezahlen ließen. Vor allem macht sie großvolumige, schnelle und hochspekulative Geschäfte unattraktiver, die an der derzeitigen Wirtschaftskrise nicht ganz unschuldig sind. Durch die niedrige Höhe sind langfristige Anlagen, also das, wodurch der Aktienmarkt die Wirtschaft tatsächlich fördert, relativ wenig betroffen. Die genaue Höhe der Einnahmen ist nicht abzuschätzen, da die Umsätze an der Börse durch eine solche Steuer massiv (nämlich um die hochspekulativen Geschäfte) zurückgehen, und der Markt so stabilisiert wird. Ob man eine solche Steuer sinnvoll findet oder nicht, muss jeder selbst entscheiden – wer die Petition unterstützen will, kann dies bis zum 25.12.2009 auf der Petitionsseite tun. Da bereits über 20.000 Menschen mitgezeichnet haben, könnte diese Petition es tatsächlich schaffen, und da der Text sehr gut formuliert ist, darf gehofft werden, dass der Petent die Forderung auch würdig vertreten kann.

Gegen die von schwarz-gelb geplante Abschaffung des Solidarprinzips in der Krankenversicherung wendet sich diese Petition (bis 17.12.2009). Das Vorhaben hat mich nach der Wahl richtig schockiert, ich hätte nichtmal der FDP zugetraut, dass sie sich traut, derart einen Grundpfeiler des deutschen Sozialsystems regelrecht wegsprengen zu wollen. Diese Petition (bis 08.01.2010) will unter anderem dafür sorgen, dass die privaten Krankenkassen sich auch am solidarischen Gesundheitssystem beteiligen sollen.

Eine geniale Idee finde ich ein 14-tägiges Widerrufsrecht für Aufhebungsverträge, wie es diese Petition (bis 24.12.2009) fordert, da Aufbehungsverträge oft unter Druck und ohne ausreichend Bedenkzeit unterschrieben werden.

Arbeitslose, welche Leistungen beziehen, müssen beim Arbeitsamt „Urlaub“ beantragen, wenn sie ihren Wohnort verlassen möchten. Auch, wenn es nur am Wochenende ist. (Link) Diesen „Urlaub“ bekommen sie i. d. R. höchstens an 21 Tagen pro Jahr, also drei Wochen, da Wochenenden voll zählen. Arbeitnehmer haben laut Gesetz einen Mindest(!)anspruch auf vier Wochen Urlaub und dazu meist das komplette Wochenende frei. Allein deswegen ist aus meiner Sicht die Regelung für Arbeitslose eine unglaubliche Sauerei. Diese Petition (bis zum 22.12.2009) fordert Abhilfe für einen Sonderfall, wo das besonders problematisch wird – wenn getrennt lebende Eltern ihre Kinder besuchen wollen. Trotz der grauenhaften Beschreibung, die daran zweifeln lässt, dass der Petent die Petition sinnvoll begründen könnte, möchte ich auf diese Petition (bis zum 22.12.2009) hinweisen. Diese stellt die meiner Meinung nach richtige und nötige Forderung auf, Kindergeld nicht auf ALG2 anzurechnen.

Eine weitere Petition (bis 06.01.2010) fordert, dass öffentliche Aufträge nicht mehr an Firmen gehen dürfen, die Dumpinglöhne zahlen oder die Arbeitszeitvorschriften nicht einhalten. Ebenfalls zumindest interessant ist die Idee dieser Petition (bis 22.12.2009), nach der Leiharbeiter 10% mehr Lohn als am entsprechenden Arbeitsplatz Festangestellte bekommen sollen. Das würde Leiharbeit gegenüber Festanstellungen unattraktiver machen – auch wieder ein Thema, welches sehr kontrovers sein dürfte.

Zum Abschluss noch drei Petitionen, die andere Teilbereiche des gleichen Problems betrachten: Es lohnt sich oft nicht, eine offizielle Beschäftigung aufzunehmen oder zu erweitern, da neben einem Berg an Bürokratie oft Kosten (z. B. Krankenversicherung) auf einen zukommen, die die Einnahmen teilweise sogar übersteigen könnten. Petition 1 (bis 17.12.2009), Petition 2 (bis 23.12.2009) und Petition 3 (bis 1.01.2010)

 


 

Wie versprochen hier noch der Tipp, wo es günstige Piratenpartei-Shirts gibt: 3DSupply bietet die Shirts jetzt für 5 EUR das Stück zzgl. Versand an. (Früher gab es mal ein Shirt pro Bestellung gratis, weitere waren dann deutlich teurer.) GetDigital hat ein ähnliches Angebot, allerdings weicht da das Logo aus drucktechnischen Gründen etwas vom offiziellen Logo ab. Beide Angebote dürfte sehr nah am Selbstkostenpreis, wenn nicht sogar drunter, liegen. Wenn jemand günstige (d.h. unter 20 EUR) Angebote für langärmlige Shirts/Pullover etc. mit Piratenlogo kennt, bitte die Kommentarfunktion nutzen!

Offenlegung: Für Bestellungen über die Links erhalte ich eine Provision. Den Link hätte ich aber auch so gesetzt – ich entscheide erst, ob ich einen Link setze, und schaue dann, ob es eine Variante mit Provision gibt.

Zum neoliberalen Koalitionsvertrag

2009-10-24 11 Kommentare

Eigentlich hatte ich vor, den Koalitionsvertrag auseinanderzunehmen, Zeile für Zeile. Bei über 6000 Zeilen hätte meine Geduld dafür allerdings sicher nicht gereicht. Abgesehen davon wurde das meiste schon gesagt. Trotzdem möchte ich hier einiges nennen, was mir aufgefallen ist, bei den schon in den Medien oft genug erwähnten Dingen weise ich nur kurz auf ein paar wichtige Punkte hin.

Die schon vorher beschlossenen Hartz4-„Verbesserungen“ bringen normalen ALG2-Empfängern gar keine Entlastungen, es bringt nur denjenigen etwas, die mit Vermögen plötzlich zum ALG2-Empfänger werden. Es wird also wieder mal reine Klientelpolitik betrieben, mit dem Vorteil, dass man den Eindruck erwecken kann man würde auch etwas für Ärmere tun. Das wurde aber auch von einigen Medien aufgegriffen, und deswegen hatte ich es nicht schon früher erwähnt. Dieses Blog ist keine Linksammlung oder ein Nachrichtenportal, und wenn etwas schon oft und deutlich genug gesagt wird, muss ich das nicht auch noch erzählen. Dafür ist meine Zeit zu schade.

Bei den Koalitionsverhandlungen drang auch viel Unsinn an die Öffentlichkeit, deswegen wollte ich mich bis zum fertigen Koalitionsvertrag zurückhalten. Auch hier nenne ich nur ein paar besonders „tolle“ Sachen, die mir aufgefallen sind. Für den Rest verweise ich auf die in den Medien ausreichend vorhandene Kritik, Fefe fasst vieles gut zusammen.

Vorab ein lustiger Punkt, den scheinbar noch niemand gesehen hat: In den Metadaten des bei Spiegel veröffentlichten PDFs mit dem Koalitionsvertrag ist mir aufgefallen, dass der Original-Dokumententitel: „Gesamt-Entwurf Koalitionsvertrag-Erster Teil“ lautet. Gibt es noch einen zweiten Teil? Sind da nur irgendwelche Tabellen drin, oder womöglich einfach die Sachen, die man der Öffentlichkeit nicht zumuten möchte? Sowas kann auch ein rein technisches Artefakt sein, z. B. indem zuerst nur der Teil ohne Personalfragen ein Dokument mit passendem Titel war und der Rest dann reinkopiert wurde.

Schön finde ich auch: Das oberste Ziel der wirtschaftlichen Ordnungspolitik muss laut dem Entwurf sein, „dass Bürger und Unternehmen ihre produktiven Kräfte entfalten und ihr Eigentum sichern können“. Nicht etwa, dass jeder Mensch ein menschenwürdiges Leben führen kann, oder dass Gerechtigkeit erzielt werden muss.

Der Koalitionsvertrag ist ein klassisches Beispiel neoliberaler Politik, bei dem mir einfach nur schlecht wird. Erleichterungen für Unternehmen, wohin das Auge reicht, Erleichterungen für Bürger treffen fast ausschließlich Besserverdienende. (Beispiel: Kindergeld und -freibetrag werden erhöht, für ALG2-Bezieher und „Aufstocker“ bringt das wenig, weil der Kinderfreibetrag nicht ausgenutzt und das Kindergeld angerechnet wird.) War eigentlich zu erwarten. Interessant ist aber, wie sich das unterschwellig überall durch den Koalitionsvertrag zieht: Es ist davon die Rede, Beschäftigung zu sichern, die Leistungsbereitschaft zu stärken usw. Immer in einem Kontext, aus dem klar hervorgeht, dass das auf Kosten der Arbeitnehmer gehen soll. Natürlich werden mehr Leute eingestellt, wenn man diese nicht zu bezahlen braucht. (Das Verbot sittenwidriger Löhne ist ein Witz, weil – wie im Koalitionsvertrag offen zugegeben – nur die Rechtsprechung festgeschrieben wird, es ändert sich also nichts. Außerdem wird eine Lohnspirale nicht verhindert, da der Durchschnittslohn in der Branche als Referenz genommen wird – mit um sich greifenden hart an der Grenze liegenden Dumpinglöhnen verschiebt sich die Grenze somit.)

Richtig schockiert hat mich allerdings, dass sich die CDU traut, das Krankenversicherungssystem derartig zu entkernen. Die Kosten werden nicht nur weiter auf Arbeitnehmer abgewälzt, Besserverdiener sollen durch eine Pauschale deutlich besser gestellt werden und noch mehr Leistungen sollen aus der Grundversorgung rausfliegen. Sozialabbau hatte ich erwartet, aber nicht in solchen Maßen. Wenn die Koalition sich jetzt noch entschließen würde, Euthanasie für Arbeitslose anzubieten, könnte mich das wohl nicht mehr als der gerade getane Schritt erschecken. (Wenn ich richtig bösartig wäre, würde ich hier auf die Sache mit dem „Erster Teil“ hinweisen.)

Die Prioritäten sieht man neben dem von Fefe genannten „prüfen“ bei nicht-so-wichtigen Themen (Freiheit, Bürgerrechte, Soziales, Internet) und klarer Ausdrucksweise bei wichtigen Themen (Wirtschaftsförderung, Sozialabbau, Besserstellung Reicher) auch daran, wie genau ein Thema ausgearbeitet wird. Bei den genannten „wichtigen“ Themen finden sich teils seitenlange, extrem genaue Ausarbeitungen, teilweise mit genauen Zahlen, während bei den „nicht-so-wichtigen“ meist sehr allgemein gehaltene, unverbindliche Aussagen getroffen wurden.

Die ganzen Steuergeschenke sollen größtenteils über Wachstum finanziert werden. Sollte das erhoffte Wachstum ausbleiben oder nicht ausreichen (und zumindest letzteres ist meiner Meinung nach fest zu erwarten), entstehen gigantische Schuldenberge.

Den Bereich der Themen, die auch die Kernthemen der Piratenpartei sind, möchte ich allerdings etwas näher beleuchten: Bürgerrechte, Freiheit, Internet und Urheberrechtspolitik. Die Hoffnung war, dass der Wahlerfolg der Piratenpartei die etablierten Parteien zur Vernunft bringt. Vielleicht wäre ohne diesen Erfolg der Vertrag noch deutlich schlimmer gewesen. Gut ist er trotzdem nicht:

Die Bundespolizei soll erweiterte Rechte bekommen. Die Sicherheitsdatenbanken und Schnittstellen zwischen Polizei und Geheimdiensten werden „evaluiert“ (bleiben also vermutlich, sonst hätte man einen stärkeren Begriff gewählt). Der Grundrechtsschutz beim BKA-Gesetz soll durch Verfahren erhöht werden. Die allgemein gehaltene Formulierung sagt fast nichts, und wenn man sie genau nimmt würde es bedeuten, dass alles beim alten bleibt und z. B. nicht zwei sondern drei BKA-Beamte irgendwas abnicken müssen.

Das BKA-Gesetz wird im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre „auf Grundlage der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung“ überprüft. Zu Deutsch: Es wird nur dann angepasst, wenn das Verfassungsgericht es für teilweise Verfassungswidrig erklärt, und dann auch nur so, dass es gerade so noch verfassungskonform ist. Zeugen sollen künftig gezwungen werden, Vorladungen der Polizei Folge zu leisten, ob damit das Zeugnisverweigerungsrecht eingeschränkt wird, ist nicht ganz klar.

„Durch eine offensivere und modernere Risiko- und Krisenkommunikation einschließlich von Warnmechanismen“ will die Koalition „zu einer gefahrenbewussteren Bevölkerung beitragen.“ – lies: sie will weiterhin Terrorpanik schüren. Die Telekommunikationsüberwachung soll „evaluiert“ und ggf. optimiert werden – die Tür zum „optimieren“ von den Grundrechten weg wird also weit offen gelassen.

Das Jugendschutzrecht soll konsequent durchgesetzt werden. Das kann zwar vieles von strengeren Vorschriften bis zu einer chinaartigen Internetzensur bedeuten, aber eher nichts Gutes. DE-Mail soll definitiv beschlossen werden. Wenigstens lehnt die Koalition eine totale Überwachung des Internetdatenverkehrs ab. (Über eine nicht komplette Überwachung wird aber nichts gesagt.)

Die „Regelungen zur Verantwortlichkeit“ im Telemediengesetz sollen „fortentwickelt“ werden. Die bisher etablierte Regelung spricht (grob gesagt) Provider von jeder Verantwortung frei, wenn sie von den Inhalten nichts wussten. In welche Richtung hier „fortentwickelt“ werden soll, ist also offensichtlich, wird aber sicherheitshalber nicht erwähnt. Es soll nur ein fairer Ausgleich der Interessen von Providern, Rechteinhabern und Nutzern stattfinden. Was in dieser Hinsicht die Koalition unter „fair“ versteht, können sich die meisten hoffentlich denken. Bei weiteren Ausgestaltungen des IT-Rechts sollen „Informationsfreiheit und Schutz vor rechtswidrigen Inhalten gleichermaßen berücksichtigt werden“.

In welche Richtung der geplante dritte Korb des Urheberrechts gehen dürfte, sollte der Satz „Das Internet darf kein urheberrechtsfreier Raum sein“ klarmachen. Allerdings will die Koalition „keine Initiativen für gesetzliche Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen ergreifen“. Ob das mit der Initiative nur eine leere Phrase ist, oder ob das heißen soll „aber wenn jemand anderes das vorschlägt, machen wir gerne mit“ werden wir ja sehen. Auch Propaganda für ein starkes Urheberrecht wird versprochen.

Die Kinderpornosperren werden zunächst ein Jahr lang ausgesetzt und durch „Löschen statt Sperren“ ersetzt. Nett, dass die Koalition auch mal lernfähig ist, das haben die Piraten nämlich von Anfang an gefordert. Die elektronische Gesundheitskarte wird ebenfalls vorerst aufgeschoben. In beiden Fällen ist zu Bedenken: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Die Vorratsdatenspeicherung wird weitergeführt, aber – wie vom BVerfG vorgegeben – wird der Zugang zu den Daten bis zur engültigen Entscheidung eingeschränkt. Also auch hier wieder Vorgaben „umgesetzt“ die es eh gab.

Die Netzneutralität wollen sie zunächst dem Wettbewerb überlassen, aber beobachten und „nötigenfalls mit dem Ziel der Wahrung der Netzneutralität gegensteuern“ – FDP, ich nehm euch beim Wort! Denn da steht, dass die Netzneutralität durchgesetzt wird, falls sie nicht von selbst funktioniert.

Beim Datenschutz wird auf die Selbstverantwortung der Bürger zum Selbstdatenschutz gesetzt, der Datenschutz auf der anderen Seite wird kaum behandelt. Zu Arbeitnehmerdatenschutz und Fluggastdaten gibt es nur sehr schwammige Formulierungen, zu SWIFT wird es teilweise etwas exakter (den bissigen Kommentar zu Steuerhinterziehung verkneife ich mir an dieser Stelle).

Der Bologna-Prozess, der den Studierenden eine herrliche Überlastung beschert hat, wird als voller Erfolg verkauft. Die breite Anerkennung der Abschlüsse, die das Ziel war, sieht übrigens in der Realität so aus, dass sie teilweise nicht einmal im gleichen Bundesland akzeptiert werden und die Unis separate Vereinbarungen abschließen. Die ebenfalls als Ziel definierte Internationalität der sieht man in der Praxis daran, dass Studenten durchs Studium getrieben werden und keine Zeit für Auslandssemester bleibt. Muss ja eine tolle Bildungspolitik werden, wenn sie auf solchen Fehlannahmen aufbaut.

Zum Schluss hat noch ein wunderbar undemokratischer Abschnitt meine Übelkeit gefördert: „Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. […] Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.“ Solange sich die Koalition nicht einig wird, werden sinnvolle Gesetze also nicht beschlossen, selbst wenn die Opposition zustimmen sollte. Genau dieser Punkt (der so üblich ist, egal ob offiziell oder inoffiziell) sollte meiner Minung nach genau umgekehr gehandhabt werden: Keine festen Koalitionen, sondern neue Mehrheitenbildung zu jedem Beschluss. Dann würde vielleicht etwas mehr der Wille der Bevölkerung befolgt.

Viel interessanter als das was drinsteht, ist das, was nicht drinsteht. (Wenn ich fies wär, würde ich hier nochmal auf die Sache mit dem „erster Teil“ hinweisen.) Das wären beispielsweise Bundeswehr im Inneren, Versammlungsrecht (die Koalitionsparteien sind in dem Punkt berühmt-berüchtigt), Biometrie, Kameraüberwachung und viele weitere Dinge, die eben deswegen nicht auffallen, weil sie nicht erwähnt werden. Etwas zu finden, was fehlt, ist schwieriger, als etwas schlechtes zu finden, was da ist. Ergänzungen über die Kommentare sind herzlich willkommen.

Daran sieht man auch den Schwachpunkt einer solchen Analyse: Man hat nur die Versprechungen der Parteien, was am Ende daraus wird, kann nochmal was ganz anderes werden, vor allem wenn noch Punkte dazukommen, die im Koalitionsvertrag nicht drinstanden.

Ich hoffe, dass gerade auch im Bezug auf die (A)Sozialpolitik dieser Irrsin aufgehalten wird, bevor das womöglich noch in einem Bürgerkrieg, Staatsbankrott oder „vierten Reich“ endet.

Wahlergebnis Piraten bei der Bundestagswahl 2009

2009-09-27 12 Kommentare

Google spuckt bei diversen Suchen wie „wahlergebnis piraten“ gerne mein Blog aus, aber leider einen Artikel zur Europawahl 2009. Ich poste diesen Artikel daher erstmal unfertig und bearbeite/ergänze ihn dann. Bei der Bundestagswahl 2009 hat die Piratenpartei 2.0% erreicht und ist somit die stärkste „sonstige“ Partei. Dabei ist zu beachten, dass die Piraten in Sachsen leider nicht zur Bundestagswahl 2009 angetreten sind. Es handelt sich um die erste Bundestagswahl, an der die Piratenpartei teilnimmt, bei der Europawahl hatten die Piraten bei deutlich niedrigerer Wahlbeteiligung 0,9% erreicht. Tagesschau.de hat den Piraten bei den Hochrechnungen sogar einen eigenen Balken spendiert. Die 5%-Hürde ist damit zwar natürlich verfehlt (was zu befürchten war), allerdings dürfte durch das Ergebnis ein gewisser Druck auf die Politik spürbar werden. Darüber hinaus gibt es für die Piraten jede Menge Geld aus der staatlichen Parteifinanzierung. Zum Vergleich: Die Grünen hatten bei der ersten Bundestagswahl, an der sie teilgenommen haben, ein Wahlergebnis von nur 1,5%.

Das Wahlergebnis der Bundestagswahl im Detail findet man am Übersichtlichsten beim Bundeswahlleiter. Im Menü auf der linken Seite kann man dort auch Diagramme abrufen, sobald fertig ausgezählt wurde. Über das Menü links auf dieser Seite kann man die Wahlergebnisse in Bundesländern und Wahlkreisen abrufen.

Was die restlichen Parteien und die Koalitionsoptionen angeht, haben Union/FDP zusammen eine klare Mehrheit, selbst ohne Überhangmandate. Die Überhangmandate verstärken diese Mehrheit noch. Es dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach also zu einer Schwarz-Gelben Koalition kommen. Ob das besser ist als eine bei einem anderen Wahlergebnis wahrscheinliche Große Koalition sei mal dahingestellt, der Grundrechteabbau dürfte jedenfalls fröhlich weitergehen. Die FDP verspricht zwar gern viel, hält das aber selten.

Ich fände es hilfreich, wenn möglichst viele Leute helfen würden, die Wahlversprechen von CDU, CSU, FDP und ggf. SPD auf wahlversprechen.info zu dokumentieren, damit wir bei der nächsten Wahl sehen können, wie wenig davon eingehalten wurden. (Insbesondere die Versprechen der FDP im Bereich „Bürgerrechte/Datenschutz“ bitte fleißig eintragen!)

Die Bundestagswahl könnte von einigen Kleinparteien, welche von der Teilnahme ausgeschlossen wurden, noch angefochten werden. Sollte eine der Anfechtungen Erfolg haben, könnte dies zu vorgezogenen Neuwahlen führen, ich halte das allerdings nicht für sehr wahrscheinlich. Unstimmigkeiten in Frankfurt könnten dazu führen, dass einige Erststimmen nicht gezählt werden. Da die CDU einen stattlichen Vorsprung beim Erststimmen-Wahlergebnis hat, dürfte das irrelevant sein. Bremen hat vorzeitig Testdaten veröffentlicht, die wie ein vorläufiges Ergebnis aussahen. Ich bezweifle, dass deswegen eine Wahlwiederholung droht, peinlich ist die Geschichte allerdings schon. Die bei Twitter geposteten angeblichen Exit-Poll-Ergebnisse waren zum großen Teil Fakes. Falls echte dabei waren, haben sie sicherlich keinen weiteren Schaden angerichtet, da keiner wusste was stimmt und was erfunden ist.

Bundestagswahl 2009 – wen wählen?

2009-09-04 16 Kommentare

Wie bereits zu einigen vergangenen Wahlen habe ich auch zur Bundestagswahl 2009 eine Übersicht erstellt, wen man wählen kann/sollte und um welche Parteien man eher einen Bogen machen sollte, wenn man Bürgerrechte für wichtig hält. Dieser Artikel ist natürlich auch meine Meinung, aber ich bemühe mich dennoch, die Parteien sachlich darzustellen. Der Transparenz halber weise ich darauf hin, dass ich (nicht ohne Grund) Mitglied der Piratenpartei bin. Die Frage „Wen wählen?“ muss sich jeder selbst beantworten, ich kann hier nur eine Hilfe anbieten. Wer es eilig hat und nur die Zusammenfassung sehen möchte, kann hier klicken, wer nur keine Lust auf Einleitung und allgemeine Politik hat, kommt hier zum Kern des Artikels.

Einleitung

Jeder hat andere Schwerpunkte und Präferenzen, und dementsprechend muss jeder auf die Frage „Wen wählen?“ seine eigene Antwort finden. Ich halte Bürgerrechte und Datenschutz sowie diverse „moderne“ Themen in der heutigen Zeit für sehr wichtig. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass eine (soziale) Marktwirtschaft zwar vielleicht nicht ideal sein mag, aber dennoch das beste System ist, was uns zur Verfügung steht. Eine starke Wirtschaft ist zwar wichtig, aber die Freiheit der Wirtschaft darf nie so weit gehen, dass die einzelnen Menschen zu kurz kommen.

Die Wirtschafts- und Sozialpolitik ist heiß umstritten, insbesondere im Hinblick auf das richtige Maß der Umverteilung, wie man auch schön an der aktuellen Debatte in den USA sehen kann: Die Einführung eines Gesundheitssystems, wie es bei uns selbstverständlich und weitgehend anerkannt ist, wird dort als Sozialismus und Kommunismus bezeichnet. Die meist ideologisch geführte Debatte will ich hier daher nur kurz abhandeln, und mich auf die auf den ersten Blick unwichtig erscheinenden, aber in alle Lebensbereiche hineinragenden „modernen Kleinthemen“ wie Bürgerrechte, Open Access, Datenschutz, Geistiges Eigentum etc. konzentrieren.

Die Aussagen, aber vor allem auch die Wahlprogramme der Parteien für die Bundestagswahl, muss man natürlich mit großer Vorsicht genießen, da oft das Gegenteil von dem versprochen wird, was hinterher getan wird. Ich beziehe diese Dinge zwar auch ein, lege aber mein Hauptaugenmerk auf das bisherige Verhalten der Parteien. Wie nutzlos die Wahlprogramme teilweise sind, zeigt ein Quiz der SZ, bei welchem man versuchen soll, Phrasen aus den Wahlprogrammen der richtigen Partei zuzuordnen. Oft kann man da genausogut eine Münze werfen.

Allgemeine Politik

Die Sozialpolitik der CDU/CSU und FDP ist üblicherweise – vorsichtig ausgedrückt – auf die Wirtschaft bzw. Freiberufler zugeschnitten. Arbeitslose werden eher als Parasiten angesehen, denen höchstens dadurch geholfen werden kann, indem man ihnen Arbeit beschafft. Insbesondere in CDU-Kreisen scheint unter „Arbeit“ auch der 1-Euro-Job verstanden zu werden, welcher meiner Meinung nach – trotz gesetzlichem Verbot – nur normale Arbeitsplätze verdrängt und Lohndumping fördert und oft sogar der Förderung von privatwirtschaftlichen Unternehmen mit Staatsgeld und Zwangsarbeitern dient. Die SPD hat das „Sozial“ in ihrem Namen immer mehr vergessen und ist in Richtung Mitte gerückt, in der Hoffnung, neue Wählerschichten zu finden. Die waren aber schon fest in den Händen der CDU. So gelang es der SPD, massiv Stimmen zu verlieren. Von der Sozialpolitik her sind aus meiner Sicht CDU/CSU und FDP kaum wählbar, die SPD inzwischen auch kaum noch. Die Linkspartei hat recht extreme Positionen, könnte aber in einer Koalition durchaus hilfreich sein, um z. B. die Position der SPD in vernünftige Bahnen zu lenken. Die Grünen haben Sozialpolitik zwar nicht als Kernthema, verfolgen aber in der Regel auch eine eher soziale Politik und wären durchaus wählbar.

Versprechen über Steuersenkungen oder -erhöhungen ignoriere ich konsequent, was von so etwas zu halten ist, konnte man bei der letzten Bundestagswahl sehen.

Hauptthemen Bürgerrechte und Co.

Nun also zu meinen Hauptthemen für die Bundestagswahl 2009 und zur eigentlichen Frage „Wen wählen?“. Die CDU/CSU tritt die Verfassung mit Füßen, wo es nur geht, und die SPD unterstützt sie dabei. Vorratsdatenspeicherung, BKA-Gesetz, Internetzensur sind nur einige Beispiele. Die CDU greift – beispielsweise mit den Plänen zum Bundeswehreinsatz im Inneren – immer wieder die Grundsätze unserer Verfassung an. Ich sehe die CDU/CSU als verfassungsfeindlich an und halte sie für eine deutlich größere Gefahr als die NPD. Diese hat nämlich im Gegensatz zur CDU kaum Einfluss in Parlamenten. Als „Mitläufer“ hat die SPD gezeigt, dass auf sie beim Schutz von Grund- und Bürgerrechten kein Verlass ist. CDU/CSU und SPD halte ich daher für völlig unwählbar.

Ich habe einen Fragenkatalog mit zum Teil sehr speziellen Fragen zu den Plänen nach der Bundestagswahl erstellt und an die drei verbleibenden größeren Parteien verschickt. (CDU/CSU/SPD habe ich mir gespart, weil sie eh unwählbar sind, die Positionen der Piratenpartei kenne ich aus den internen Diskussionen gut genug.) Die FDP hat bisher noch gar nicht geantwortet (die Anfrage ging vor knapp einer Woche raus). Falls vor der Bundestagswahl noch was kommt, arbeite ich es natürlich ein. UPDATE: Heute (7.9.) ist eine Antwort der FDP gekommen. Aus Zeitmangel konnte sie ebenfalls nicht auf meine Fragen eingehen, dafür bekam ich einige Aussagen aus dem Wahlprogramm. Ich habe einige Updates unten eingebaut. Die LINKE hat darauf verwiesen, dass sie aus Zeitmangel (was durchaus nachvollziehbar ist) meine Fragen nicht ausführlich beantworten kann, und mich gebeten mich am Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2009 auf deren Website zu orientieren. Einzig die Grünen haben zügig geantwortet. In der Antwort wurden die meisten Fragen recht gut beantwortet, dazu erhielt ich die Antwort sowohl im doc-Format (Microsoft Word) als auch odt (Open Office). Daran sieht man schonmal, dass freie Software und offene Formate von den Grünen erstgenommen werden, und zwar nicht nur an leeren Worten, sondern im alltäglichen Umgang.

Die Themen:

„Zugangserschwerungsgesetz“ (Internetzensur unter dem Vorwand, Kinderpornographie im Netz bekämpfen zu wollen, warum das Unsinn ist steht z. B. hier) und ggf. Ausweitung auf andere Inhalte: Dieses Thema habe ich ausgewählt, weil es aktuell ist, zudem werden die bei der Bundestagswahl 2009 gewählten Parteien über eine Verlängerung entscheiden müssen, falls das Gesetz doch noch zustande kommt. Die Grünen lehnen bereits das Gesetz als solches ab, und beweisen damit, dass sie auch dann für Bürgerrechte einstehen, wenn andere Parteien versuchen könnten, sie als Kinderschänder zu verleumden. Die Piratenpartei, welche die gleiche Position noch mit etwas mehr Vehemenz vertritt, hat dieses Problem zur Zeit. Bei der Bundestagswahl könnte ihr zum Verhängnis werden, dass große Teile der Bevölkerung die Lügen geschluckt haben und nur wissen, dass die Piratenpartei gegen die Sperren ist, aber nicht, dass sie stattdessen ein Wirksames Vorgehen gegen Kinderpornographie statt nutzloser Symbolpolitik fordert. Die FDP will gegen das Gesetz klagen – aber nur, falls sie nach der Bundestagswahl nicht an die Regierung kommt. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie die FDP gerne behauptet, sich für Bürgerrechte einzusetzen, das aber schnell vergisst, sobald sie an der Regierung beteiligt ist – vorzugsweise in einer Koalition mit der CDU, über die oben schon genug gesagt wurde. (UPDATE: Siehe unten bei FDP!) Die LINKE lehnt Netzsperren ab, betrachtet das Thema aber eher als Randthema. Dennoch darf man bei der LINKEn auf geringe Kompromissbereitschaft in dem Punkt hoffen.

Vorratsdatenspeicherung und BKA-Gesetz/Onlinedurchsuchung sind ein gutes Beispiel für bürgerrechtsfeindliche Gesetze, ebenso wie beispielsweise die Weitergabe von Kontodaten an die USA über die EU und SWIFT. Grüne, LINKE und FDP behaupten hier alle, dagegen zu sein. Wieder bin ich der Meinung, dass die LINKE das Thema etwas weniger ernst nimmt als die Grünen. Die FDP hat in den Ländern allerdings Gesetzen, welche eine Online-Durchsuchung (und noch viel mehr) erlauben, mehrfach zugestimmt – auch wenn es bei der Bundestagswahl nicht um die Länder geht, ist das ein Indiz. Ich halte die Behauptungen der FDP daher für leere Wahlversprechen, zumal der Wunschkoalitionspartner der FDP, die CDU, geradezu nach mehr Überwachung lechzt. Für die Piratenpartei ist die Abschaffung solcher Gesetze ein absolutes Kernthema und für viele der Hauptgrund, warum sie Mitglied sind. In diesem Punkt dürfte also auf die Piratenpartei 100% Verlass sein.

Urheberrecht ist ein weiterer wichtiger Punkt – das Urheberrecht schränkt die Möglichkeiten privater Nutzer immer mehr ein und kriminalisiert viele Menschen für früher selbstverständliche Handlungen. Eine klare Position der FDP konnte ich nicht finden. UPDATE: Die FDP setzt sich laut Wahlprogramm klar für „konsequente Rechtsdurchsetzung“, Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen vor allem im Internet und ein starkes Urheberrecht ein. Böse Zungen wie ich würden sagen, sie verfolgt klar und offen die Linie der Contentindustrie. Die LINKE erwähnt das Urheberrecht wieder mehr am Rand und fordert verbraucherfreundliche Regelungen. Die Grünen treten für das Recht auf eine digitale Privatkopie ein und wollen eine Pauschalvergütung für die Urheber. In einer Debatte 2006 haben sich LINKE und FDP gegen eine Bagatellklausel für private Kopien ausgesprochen, die Grünen dafür. Eine Bagatellklausel würde die Kriminalisierung zahlreicher Menschen verhindern und wäre ein Schritt zu einem verbraucherfreundlicheren Urheberrecht. Die Piratenpartei leitet ihre Bezeichnung davon ab, dass die Contentindustrie versucht die Privatkopie zu verbieten und Privatkopierer als „Piraten“ beschimpft, das Urheberrecht ist also auch ein Kernthema. Die Piratenpartei hat zwar noch kein konkretes Konzept für eine komplette Reform des Urheberrechts, fordert aber, es deutlich verbraucherfreundlicher zu gestalten. Sie will allerdings nicht das Urbeherrecht abschaffen oder kommerzielle unautorisierte Kopien erlauben.

Eine Three-Strikes-Regelung wird oft von der Contentindustrie gefordert. Dabei wird bei wiederholter Urheberrechtsverletzung dem Täter der Internetanschluss beispielsweise für ein Jahr entzogen. Durch die hohe Bedeutung des Internets ist das eine erhebliche Grundrechtseinschränkung, in Frankreich wurde ein solche Gesetz vom dortigen Verfassungsgericht gekippt. FDP, Grüne, Linke und Piraten lehnen eine solche Regelung ab. Da die FDP ein „starkes Urheberrecht“ fordert und oft bewiesen hat, wie schnell sie umkippt, würde ich mich darauf nicht verlassen wollen, dass diese Position auch nach der Bundestagswahl noch bestehen bleibt.

Das Informationsfreiheitsgesetz ermöglicht Bürgern die Einsicht in Behördenakten und dient somit der Transparenz. Skandale und Korruption können so oft aufgedeckt werden, doch das IFG wird in Deutschland nur halbherzig umgesetzt. FDP, Grüne und Piraten setzen sich für ein starkes IFG ein, bei der Linken findet sich zu dem Thema fast nichts. Hier sieht man wieder, dass die Linke solche Themen nicht allzu wichtig nimmt, wie ernst es FDP und Grünen ist, wird man wohl frühestens nach der Bundestagswahl erfahren.

Patente sind ein extrem wichtiges Thema in der heutigen Zeit. Ein Patentschutz ist in der Wirtschaft nötig, ein zu starkes Patentrecht kann die Wirtschaft jedoch stark behindern. Softwarepatente waren bisher in Deutschland nicht ohne weiteres möglich, über die USA und EU besteht jedoch die Gefahr einer Einführung. Trivialpatente, z. B. auf den Doppelklick (!) oder Prozentbalken (!) können erhebliche Probleme verursachen. Ein gutes Beispiel, dass Patente weit in andere Lebensbereiche ragen, ist der Fall von Opel: Ein großes Hindernis für die Rettung war, dass Opel seine Patente an GM abgegeben hatte. Software- und Trivialpatente werden von Piraten, FDP, Grünen und LINKEN abgelehnt, die Piratenpartei fordert dazu eine Reform des Patentrechts, um es auf die aktuelle Situation anzupassen.

Open Access, also freier Zugang zu Wissen, ist ein Kernthema der Piratenpartei und wird auch von FDP, Grünen und Linken gefordert. Open Access kann Forschung und Wissenschaft deutlich erleichtern.

Damit wären die „harten“ Themen durch. Weiterhin habe ich auch „weiche“ Themen abgefragt, wie Fraktionsdisziplin, Koalitionsbereitschaft nach der Bundestagswahl und Kompromissbereitschaft bei den genannten Themen. Dazu haben leider auch die Grünen keine wirklich klare Aussage treffen wollen, alle Parteien scheinen sich sorgfältig zu bemühen, allzu ernste Koalitionsverhandlungen zu den Landtagswahlen 2009 erst nach der Bundestagswahl zu führen. Die Grünen haben nach den Anschlägen vom 11. September dem „Otto-Katalog“, einem Paket aus bürgerrechtsfeindlichen Sicherheitsgesetzen, zugestimmt. Zu dem Vorwurf nahmen die Grünen in ihrer Antwort keine Stellung. Ich habe dennoch den Eindruck, als hätte die Partei inzwischen gelernt und würde sich nun stärker für Bürgerrechte einsetzen. Die FDP hingegen hat in den Ländern allein 2009 schon mehrfach bewiesen, dass auf sie kein Verlass ist.

Fazit zu den Parteien

Die CDU/CSU und SPD sind meiner Meinung nach völlig unwählbar. Sie haben bewiesen, dass sie auf Bürgerrechte keinerlei Wert legen, die CDU/CSU tritt gezielt gegen Bürgerrechte ein und stört sich nicht daran, die Verfassung zu brechen. Eine Stimme bei der Bundestagswahl 2009 für CDU/CSU oder SPD ist eine Stimme für einen Unrechtsstaat. Eine große Koalition nach der Bundestagswahl wäre für die Freiheit in Deutschland eine Katastrophe, würde aber glücklicherweise mangels Zweidrittelmehrheit wenigstens nicht mehr das Grundgesetz zerstören können.

Die FDP stellt sich zwar als Bürgerrechtspartei hin und verfolgt diese Position in der Opposition auch. Sobald sie jedoch an der Regierung ist, wirft sie all das über Bord und unterstützt den Grundrechteabbau, ggf. begleitet von Behauptungen, durch den von der FDP erzielten Kompromiss würden die Grundrechte weniger stark abgebaut als ohne. (Ohne Zustimmung der FDP würden allerdings gar keine Grundrechte abgebaut…) Der Wunschkoalitionspartner der FDP, die CDU/CSU, ist für Grundrechteabbau berühmt-berüchtigt. Auch die FDP halte ich daher für unwählbar, wenn man Bürgerrechte für wichtig hält. Mit einer Stimme für die FDP bei der Bundestagswahl 2009 fördert man indirekt auch die CDU und somit den Grundrechteabbau. UPDATE: In der Mailantwort und im Wahlprogramm schreibt die FDP, dass Erwachsenen der Zugang zu strafrechtlich unbedenklichen Inhalten nicht verwehrt werden dürfe. Ich gehe also davon aus, dass die FDP Internetsperren untersützen wird, sofern sie sich „nur“ gegen Kinderpornographie, ggf. auch Urheberrechtsverletzungen (siehe oben – „konsequente“ Durchsetzung…) und andere illegale Inhalte richten. Nur „aktionistische“ Verbote oder „Zensur“ werden abgelehnt. Im Wahlprogramm, welches ich aus gutem Grund zunächst nicht zum Vergleich herangezogen habe, werden immer wieder schwammige Formulierungen verwendet und Ausflüchte offengelassen. Die FDP macht in ihrer Antwort deutlich, dass eine Steuerstrukturreform ein wichtiges Thema ist, obwohl ich danach gar nicht gefragt hatte (also wohl wichtiger als die Themen zu den ich etwas wissen wollte), und dass „für Koalitionsgespräche eine programmatische Schnittmenge zwischen den Verhandlungspartnern“ nötig sei. Wie diese Schnittmenge bei CDU und FDP im Bezug auf Bürger- und vor allem Verbraucherrechte aussehen könnte, kann sich jeder denken.

Die Grünen betrachten Bürgerrechte als wichtiges Thema, haben allerdings Themen die wichtiger sind. Es ist nicht auszuschließen, dass faule Kompromisse gemacht werden, die starke Basisdemokratie dürfte ein Umkippen nach Art der FDP aber verhindern. Wenn man die weiteren Schwerpunkte der Grünen für sehr wichtig hält, und bereit ist zu riskieren, dass Bürgerrechte doch hinten angestellt werden, kann bei der Bundestagswahl 2009 die Grünen durchaus wählen.

Die LINKE erwähnt Bürgerrechte zwar, der Schwerpunkt liegt allerdings klar in der Sozialpolitik. Die Kompromissbereitschaft der LINKEn schätze ich vergleichsweise gering ein, verlassen würde ich mich jedoch nicht darauf. Zu vielen Themen, die in der heutigen Zeit immer wichtiger werden (Urheberrecht, Open Access, …) hat die LINKE keine ausgearbeitete Position. Eine Stimme bei der Bundestagswahl 2009 für die LINKE dürfte zwar den Grundrechteabbau nicht fördern, aber auch keinen Fortschritt bei aktuell wichtigen Themen bringen.

Die Piratenpartei ist eine Themenpartei, d.h. sie hat sich auf bestimmte Themen spezialisiert und befasst sich (noch) nicht mit weiteren Themen. Zu Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt es also keine Position. Umso klarer hingegen ist die Position zu Bürgerrechten, Datenschutz, und freiem Zugang zu Wissen (womit der große Themenbereich „Bildung“ natürlich mit Thema ist). Faule Kompromisse in diesen Bereichen sind undenkbar. Eine starke Piratenpartei – ob im Bundestag vertreten oder nicht, siehe unten – wird die anderen Parteien dazu zwingen, sich mit Bürgerrechten und Datenschutz auseinanderzusetzen. Eine Koalition mit den Piraten wird nur möglich sein, wenn die Kernthemen umgesetzt werden. Eine Stimme bei der Bundestagswahl 2009 für die PIRATEN fördert also auf jeden Fall die von der Partei vertretenen Kernthemen deutlich mehr, als wenn man eine der anderen Parteien unterstützt, die Bürgerrechte und Freiheit als ein Thema unter vielen sehen. Daher unterstütze ich die Piratenpartei und werde sie auch wählen.

Weitere Entscheidungshilfen

Das Projekt „Bürgerrechte wählen“ bietet eine Übersicht über das Abstimmungsverhalten der Parteien sowie über bürgerrechtsschädigende Gesetze, die die Parteien beschlossen haben.

Die bpb bietet einen Wahl-o-mat an, ein ähnliches, aber privates Projekt gibt es bei den surfpoeten. Das im Aufbau befindliche „Projekt Wen wählen?“ hat mit einem Punktesystem wohl die ausgeklügeltste Methode, scheint sich aber immer direkt auf Wahlkreiskandidaten zu beziehen, was dazu führen dürfte, dass viele Parteien nicht berücksichtigt werden.

Taktische Überlegungen

Nichtwählen oder ungültig wählen ist die schlechteste Entscheidung. Es hat keine nennenswerte Signalwirkung und schadet den großen Parteien nicht. Solange man mindestens eine Partei mehr ablehnt als die anderen, ist es besser, notfalls zufällig eine der Parteien die das geringste Übel sind zu wählen.

Bei der Piratenpartei ist zu befürchten, dass sie die 5%-Hürde nicht schafft, auch wenn es keineswegs sicher ist. Bei der Europawahl im Juni 2009 erreichte sie 0,9% der Stimmen, bei der Landtagswahl 2009 in Sachsen knapp drei Monate später bereits 1,9%, und die heiße Wahlkampfphase hat gerade erst begonnen. Seit der Europawahl strömen die Mitglieder in großen Mengen zur Partei, aktuell hat sie rund 7.500 Mitglieder (zum Vergleich: Anfang 2009 waren es noch weit unter 1.000. Die Grünen haben rund 46.500). Selbst wenn es die Piratenpartei nicht in den Bundestag schafft, ist eine Stimme für sie jedoch nicht weggeworfen. Einerseits erhält die Piratenpartei für jede Stimme bei der Bundestagswahl Geld vom Staat, andererseits erhöht ein gutes Wahlergebnis für die Piraten auch den Druck auf die anderen Parteien, Bürgerrechte ernstzunehmen. Ich werde daher die Piratenpartei bei der Bundestagswahl 2009 unabhängig von der 5%-Klausel wählen und kann jedem, der Bürgerrechte und Themen des 21. Jahrhunderts für wichtig hält, nur nahelegen, es auch zu tun. Nur wem die Kernthemen anderer Parteien weitaus wichtiger und Bürgerrechte nur am Rand wichtig sind, dürfte bei den Grünen oder Linken besser bedient sein.

Erst- und Zweitstimme: Die „Prozente“ bei der Bundestagswahl bekommen die Parteien über die Zweitstimme. Die Erststimme bestimmt die Direktmandate, es gewinnt der Kandidat mit den meisten Erststimmen im Wahlkreis. Meist kommen nur zwei Kandidaten in Frage, eine Stimme für die anderen Kandidaten ist weitgehend nutzlos. Mit der Erststimme sollte man also meist denjenigen der zwei aussichtsreichen Kandidaten wählen, welcher das geringere Übel darstellt. Es ist auch möglich, die Erststimme freizulassen. Dann gilt die Erststimme als ungültig, die Zweitstimme wird ganz normal gewertet.

Aufgrund des „kaputten“, verfassungswidrigen Wahlrechts gibt es bei der Bundestagswahl 2009 ein Phänomen namens „negatives Stimmgewicht“, durch welches eine Stimme für eine Partei dieser schaden kann. Details dazu gibt es auf wahlrecht.de, dort soll auch eine „Taktik-Anleitung“ erscheinen. Durch die Überhangmandate erhöhen sich die Chancen der CDU, eine Koalition mit der FDP bilden zu können, selbst wenn sie nicht genug Zweitstimmen erreichen.

Neuwahlen und die nächste Bundestagswahl könnte man auch in die Überlegungen mit einbeziehen. Es ist damit zu rechnen, dass die Wirtschaft 2009 und vermutlich noch einige Jahre danach weiter den Bach runtergehen wird (zumal Massenentlassungen nach der Bundestagswahl bereits angekündigt sind). Man könnte also überlegen, jetzt eine Partei zu wählen, die man eher nicht mag, damit ihr bei der nächsten Bundestagswahl oder einer vorgezogenen Neuwahl die Schuld an der Krise gegeben wird. Das halte ich jedoch für keine gute Idee, denn erstens kann eine solche Partei bis dahin irreparable Schäden anrichten und zweitens kann sich in drei Jahren die Wirtschaft wieder erholt haben. Auch darauf, dass es z. B. aufgrund des verfassungswidrigen Wahlrechts, der umstrittenen Nichtzulassung einiger Parteien oder anderer Fehler zeitnah eine Wiederholung der Bundestagswahl geben könnte, sollte man nicht hoffen – das Verfassungsgericht ist leider extrem langsam.

Technisches

Wahlcomputer gibts diesmal nicht, da sie in Deutschland zumindest für die Bundestagswahl 2009 nicht zugelassen sind.

Nicht dokumentenechte Bleistifte bei Wahlen sind kein Problem, wie mein Artikel hier ausführlich erklärt.

Es ist möglich per Briefwahl zu wählen oder direkt in den entsprechenden Ämtern. Wie Briefwahl geht und welche Gefahren es gibt, hat jemand im Piratenwiki zusammengestellt. Eine Liste mit Links zum Online-Beantragen der Unterlagen gibts da auch.

Kurzzusammenfassung

  1. Geh wählen!
  2. Wer Bürgerrechte sehr wichtig findet, wählt PIRATEN
  3. Wer Bürgerrechte nur am Rand wichtig findet, die PIRATEN nicht wählen will und das Programm der Grünen oder LINKEn gut findet, kann diese Parteien wählen
  4. Wer CDU, CSU, SPD oder FDP wählt, unterstützt den Grundrechteabbau in Deutschland
  5. Die Frage „Wen wählen“ muss jeder selbst beantworten

Kommt die Internetzensur?

2009-06-17 2 Kommentare

Die Verbreitung von Kinderpornographie im Internet ist rückläufig, die Zahlen und Argumente mit denen Bundesfamilienministerin von der Leyen a.k.a „Zensursula“ für die Internetzensur wirbt dürfen frei erlogen sein, denn zu fast allen entsprechenden Themen hat die  Bundesregierung keine konkreten Informationen, die Petition gegen Internetzensur ist mit über 134.000 Mitzeichnern die stärkste Petition in Deutschland seit es das Petitionssystem gibt (damit sich der Petitionsserver nicht langweilt, gibt es jetzt eine vielversprechende Petition gegen das Paintballverbot – bitte mitzeichnen!). Dennoch will die Große Koalition der Verfassungsfeinde mit den Umfallern einen zwar im Drumherum deutlich verbesserten, im Kern aber unveränderten Gesetzesentwurf schon am Donnerstag durch den Bundestag peitschen, darauf hat man sich schon geeinigt. Im Windschatten der Diskussion ist übrigens die Reform des Datenschutzes völlig verkrüppelt worden, vom Verbraucherschutz ist nichts mehr übrig.

Zunächst einmal: Die Petition ist genau zum richtigen Zeitpunkt mit sehr vielen Mitzeichnungen geschlossen worden. Heute (Mittwoch) könnte das, wenn es gut läuft, durch die Medien gehen und deutlich Druck ausüben. Die Vorkomnisse im Iran können einerseits ablenken, andererseits aber auf die Gefahren von Zensur aufmerksam machen.  Es gibt eine Telefonaktion – bitte Mitmachen! – bei der SPD-Abgeordnete überzeugt werden sollen, doch noch zur Vernunft zu kommen. Ich gehe aber stark davon aus, dass das Zensurgesetz durchkommen wird – durch den Bundestag. Am kommenden Samstag, dem 20., sind daher Demonstrationen in zahlreichen Städten geplant. Erscheint bitte zahlreich!

Soweit ich weiß handelt es sich aber um ein zustimmungspflichtiges Gesetz, d.h. der Bundesrat muss zustimmen, damit das Gesetz erlassen werden kann. UPDATE: Da habe ich mich laut Heise (letzter Absatz) geirrt. Das Gesetz ist wohl kein Zustimmungsgesetz, sondern ein Einspruchsgesetz, d.h. der Bundestag kann mit einer einfachen Mehrheit Einspruch einlegen. Das ist unwahrscheinlich, da die CDU und SPD-Regierungen wohl kaum für einen Einspruch stimmen werden. Die Länder stimmen geschlossen ab, und wenn bei einer Koalition auf Landesebene die Parteien uneinig sind, gibt es eine Enthaltung, die wie eine Nein-Stimme wirkt. Bei einem Zustimmungsgesetz wäre das gut (Nein für Zustimmung = kein Gesetz), bei einem Einspruchsgesetz bedeutet ein „nein“ leider „kein Einspruch“.

Dort müssen die Bundesländer geschlossen abstimmen, wenn sich die Koalitionsparteien eines Bundeslandes uneinig sind, gibt es eine Enthaltung. Wenn sich ein Land enthält, wirkt das wie eine Nein-Stimme.  Das gibt Hoffnung:

Man kann recht sicher damit rechnen, dass die rein von der SPD, rein von der CDU oder von einer großen Koalition regierten Länder zustimmen werden – auch wenn sich hier eventuell noch bei der SPD Chancen ergeben könnten, einzelne Landesverbände zu überzeugen. Eine Übersicht wer wo regiert findet sich bei der Wikipedia. Wie man sieht, haben die erwähnten Länder die dafür stimmen dürften nur 30 von 35 nötigen Stimmen. Solange also die FDP nicht umfällt und bei den drei von Grünen/Linken mitregierten Ländern höchstens eines umkippt, bekommt die Große Koalition der Verfassungsfeinde keine Mehrheit im Bundesrat, was das Problem lösen dürfte.

Die FDP spielt auch noch eine weitere Schlüsselrolle: Es ist recht wahrscheinlich, dass nach der Bundestagswahl eine schwarz-gelbe Koalition regieren wird. Da das Gesetz befristet ist, wird die nächste Regierung nochmal darüber entscheiden müssen. Wenn die FDP also standhaft bliebe, wäre selbst ein verabschiedetes Zensurgesetz nur ein paar Jahre gültig. Gerade deswegen ist es wichtig, die FDP zur Vernunft zu mahnen. Ehe also unnötig Kraft auf die verlorenen Umfaller von der SPD zu verschwenden, könnte es sich lohnen, sich direkt an die FDP zu wenden.

Wie EU-Abgeordnete auf Mails von Bürgern reagieren

2009-05-25 7 Kommentare
Your message

 To:      XXXXXX XXXXXXXXXX
 Subject: Bitte eines EU-Bürgers
 Sent:    Tue, 21 Apr 2009 13:26:35 +0200

was deleted without being read on Sun, 24 May 2009 22:42:11 +0200

Den Namen habe ich entfernt, da die Nicht-Lese-Bestätigung hier nur exemplarisch für viele andere ist. Ich hatte an 14 Abgeordnete eine E-Mail (einzeln, jeweils mit persönlicher Anrede) mit der Bitte geschickt, bei Debatten um das Urheberrecht nicht nur die lautstark vertretenen Interessen der Lobbyisten, sondern auch die Interessen der Bürger zu beachten. Daraufhin kamen zurück:

1 englischsprachige Antwort (meine Mail war auf Deutsch an eine deutsche Abgeordnete), die vermutlich an alle ging die sich irgendwie in Richtung Urheberrecht gemeldet haben

3 Lesebestätigungen (bei allen Mails hatte ich welche angefordert)

4 Meldungen, dass die Mail ungelesen gelöscht wurde. Drei davon kamen eine Woche nachdem die Mail verschickt worden war am Abend kurz nacheinander, sodass es sich wahrscheinlich um einen Automatismus gehandelt hat – nicht dass es die Sache besser machen würde, dass die Abgeordneten sich nichtmal die Mühe machen die Mails selbst zu löschen…

Bereits letztes mal, als ich einige Abgeordnete angemailt hatte, habe ich kaum Antworten und nach exakt 3 Monaten um 3 Uhr morgens dann die Löschbestätigungen bekommen. Ich erwarte übrigens, dass noch weitere Löschmeldungen kommen werden.

Bemerkenswert ist, dass sich dieser äußerst interessante Brauch, offen auf die Interessen derjenigen, die man vertritt, zu sch***** und es offen zur Schau zu tragen, quer durch die Parteien zieht. CDU, SPD, Grüne, FDP – alle dabei.

Es könnte rein theoretisch natürlich sein, dass die E-Mails weitergeleitet und dort gelesen wurden, oder dass die entsprechenden Abgeordneten die Mail von einem Kollegen schon gezeigt bekommen haben. Gegen ersteres spricht allerdings die Tatsache, dass zu keiner E-Mail eine widersprüchliche Benachrichtigung kam (also sowohl „gelesen“ als auch „gelöscht“) und die löschenden Abgeordneten auch nicht geantwortet haben. Auch letzteres halte ich für äußerst unwahrscheinlich, zumal die Mails ja auch nicht gerade an das ganze Parlament gingen (die erste ging an fünf, die zweite an 14 Personen) und bei der ersten Mailaktion mit fünf Mails auch genau fünf Mails zurückkamen, eine Antwort, zwei Lese- und zwei Löschbestätigungen, wobei die Lesenden und die Löschenden z.T. in unterschiedlichen Fraktionen waren. Aber selbst dann wäre es äußerst ungeschickt und unhöflich, ein klares „ich sch*** auf deine Meinung“ zu schicken. Ich habe beim ersten Mal noch zurückgehalten, aber spätestens jetzt, wo genau das gleiche wieder und wieder mit mehreren Abgeordneten passiert ist, ist klar, dass das kein „bedauerlicher Einzelfall“ mehr ist, sondern System hat. Ich bin auch nicht der Einzige dem es auffällt. Es verlangt ja auch keiner, dass die Abgeordneten die Mails selbst bearbeiten, ihnen steht ja genug Geld für Assistenten zur Verfügung.

Ich frage mich: Wie sollen die EU-Abgeordneten die Interessen der Bürger vertreten, wenn sie die Bitten selbiger ungelesen entsorgen? Wenigstens sind sie so nett, es auch noch offen zur Schau zu tragen. Ich mache mir keine Hoffnungen, dass sich etwas bessert – höchstens wird der Admin die Löschbestätigungen abstellen, damit nicht mehr so auffällt, wie sehr sich die Abgeordneten um das Wahlvieh scheren.

Meine Ansicht, dass die EU absolut undemokratisch ist und nur als Instrument für Lobbyisten und bürgerrechtsfeinliche Politiker zur unbemerkten Durchsetzung ihrer Interessen ist, sehe ich dadurch voll und ganz bestätigt. Ich werde zwar durchaus wählen gehen (und zwar logischerweise Piratenpartei), aber nur, weil Nichtwählen auch nichts besser macht, die Piraten ab einem Prozent staatliche Gelder für den Wahlkampf bekommen und bei hoher Wahlbeteiligung die Hoffnung besteht, dass die nur in Bayern antretende CSU die bundesweit gezählte 5%-Hürde nicht schafft.

UPDATE: Wie der Antwort von Herbert Reul auf kandidatenwatch.de zu entnehmen ist (und ich schon vermutet habe), handelt es sich wohl um einen amoklaufenden Spamfilter, und das Problem scheint bekannt zu sein. Eigentlich wäre ja genug Zeit gewesen es zu beheben. Für die technisch interessierten: Meine Mail enthielt keine Links, HTML-Code, Anhänge, komplett großgeschriebene oder zerstückelten Wörter und wurde mit einem normalen, sauber konfigurierten Client ganz normal über den Web.de-Server abgesetzt. Sofern der Spamfilter die Mail als Spam eingeordnet hat, weil in kurzer Zeit mehrere ähnliche Mails ankamen, ist das natürlich besonders dämlich – denn gerade bei einem Parlament muss man mit solchen Dingen rechnen. Einen anderen Grund kann ich mir gerade bei der Mail aber kaum vorstellen.

Wie bereits erwähnt: Ob man die Post selbst ungelesen wegschmeißt, das von inkompetentem Personal oder wie in diesem Fall von kaputten Programmen erledigen lässt, für die eigene Post verantwortlich ist man immer noch selbst. Ich werde mich ja auch schlecht darauf berufen können, Rechnungen nicht erhalten zu haben, wenn ich eine Mülltonne hinter den Briefschlitz hänge. Die Abgeordneten löschen Ihre Mails also zwar nicht selbst, sie unternehmen aber nichts (wirksames) dagegen, dass der „technische Dienst“ das für sie übernimmt. Schön, dass das Entsorgen von Bürgeranfragen schon zentral organisiert wird…

Das ist übrigens der Grund, warum ich keinen Spamfilter nutze – ob ich den Müll selbst aus dem Posteingang entsorge oder eh die Spamtonne auf false positives (fälschlich als Spam eingestufte Mails) durchschauen muss, macht keinen großen Unterschied.

Landtagswahl Hessen 2009 – Überblick – Diesmal Piraten?

2009-01-04 12 Kommentare

AUS AKTUELLEM ANLASS:

Bei Suche nach „Wahlergebnis Piraten“ spuckt Google scheinbar gern diese Seite aus. Zu den Wahlergebnissen bei der Europawahl 2009 geht es hier lang, es gibt auch einen Artikel zu den Ergebnissen der Bundestagswahl 2009.



UPDATE: Die Wahl ist vorbei, Ergebnisse siehe z. B. hr-online. Wie nicht anders zu erwarten haben CDU/FDP gewonnen (ohne dass die CDU viel dazugewonnen hätte) und werden wohl eine Koalition eingehen. Die SPD ist wie erwartet abgesackt, profitiert haben neben der FDP die Grünen. Die Linken haben die 5%-Hürde geschafft. Die Piraten haben mit 0,5% zwar ihr letztes Ergebnis deutlich gesteigert, aber dennoch nicht meine Erwartungen erfüllt. Der fehlende Plakatwahlkampf machte sich bemerkbar. Die Freien Wähler haben auch ordentlich zugelegt – sie haben über 1% und bekommen im Gegensatz zu den Piraten somit staatliche Parteienfinanzierung. Die Rechtsradikalen (NPD/REP) sind jeweils unter 1% und bekommen somit nichts. Etwas erschreckend finde ich aber, dass ganze 0,2% der Wähler doch tatsächlich BüSo gewählt haben. Wobei deren aktuelles Werbematerial wohl etwas gemäßigter war als das was ich kenne. Der Rest dieses nun veralteten Artikels bleibt natürlich stehen, falls das noch jemand lesen will.

Ich hatte bereits vor knapp einem Jahr einige Überlegungen zur Landtagswahl in Hessen 2008 aufgestellt. Dies möchte ich nun angesichts der anstehenden Neuwahlen in Hessen wiederholen. Die Situation hat sich inzwischen deutlich geändert – durch den fehlgeschlagenen Versuch, eine Rot-Rot-Grüne Koalition zu bilden (die ich damals als eines der kleinsten Übel ansah). Wieder handelt es sich größtenteils um meine persönlichen Überlegungen zur Landtagswahl 2009 in Hessen, was ich wählen soll, die ich hier zusammengefasst und niedergeschrieben habe.

Diesmal habe ich mir nicht die Mühe gemacht, den Parteien hinterherzutelefonieren wie bei der letzten Landtagswahl, da die Koalitionsoptionen recht übersichtlich aussehen. Nachdem ich die Piratenpartei, die meinen Überzeugungen am ehesten entspricht, letztes mal aus taktischen Gründen nicht gewählt habe, steht diese Überlegung auch unter dem Gesichtspunkt: „Diesmal Piraten?“. Ich bemühe mich, sachlich auf die Koalitionsoptionen einzugehen, äußere aber auch, was ich von ihnen halte. Das hier ist weder ein Propagandatext für irgendeine Partei, noch eine völlig neutrale Betrachtung, auch wenn Teile davon möglichst neutral sind (es sollte beim Lesen schnell deutlich werden, welche das sind).

Ich habe bei der Landtagswahl letztes Jahr entsprechend meiner abgegebenen Empfehlung gewählt und halte meine Entscheidung im Nachhinein für richtig. Hätte die Linkspartei nicht die 5%-Hürde genommen, wäre es wie ich erwartet habe höchstwahrscheinlich zu einer Koalition aus CDU und FDP gekommen. So aber entstand ein instabiles Etwas, welches dennoch in der Lage war eines der zentralen Wahlversprechen der eher linken Parteien vergleichsweise zügig umzusetzen: Die Abschaffung der Studiengebühren. Die Universitäten bekommen die „fehlenden“ Mittel übrigens vom Land ersetzt, stehen also genauso da wie mit Studiengebühren. Und ein Jahr lang konnte die CDU hier nicht wüten und weitere Schäden anrichten.

Nun ist jedoch eine Rot-Rot-Grüne Koalition nicht zustande gekommen. Durch die Diskussion hat die SPD wie erwartet viele Stimmen verloren. Aktuelle Umfragewerte finden sich immer hier. Die möglichen halbwegs realistischen Koalitionen sehen also so aus:

CDU/FDP: Die wahrscheinlichste Variante. Ein komfortabler Vorsprung, unabhängig welche der letzten Umfragen man heranzieht, macht es sehr unwahrscheinlich, dass diese Koalition noch verhindert wird. Die SPD hat zwar vor der letzten Landtagswahl in Hessen innerhalb kürzester Zeit extrem aufgeholt, ein erneuter derartiger Erfolg ist jedoch nach dem Debakel mit der gescheiterten Linkskoalition kaum denkbar. Andere Koalitionen sind unwahrscheinlich, denn warum sollten CDU/FDP sich auf etwas anderes einlassen, wenn diese beiden Parteien genehme Option zur Verfügung steht? Zum Glück hätte diese Koalition vermutlich keine Zweidrittelmehrheit, mit der sie die Hessische Verfassung zerlegen könnte. Problematische Gesetze, die Freiheit und Bürgerrechte beschädigen, befürchte ich leider trotz des „F“ im Kürzel der FDP. Denn nur allzu oft hat die FDP gezeigt, dass andere Themen eine weitaus höhere Priorität haben und ein entgegenkommen bei diesen Themen oft dazu führt, dass die FDP nur allzu bereit ist, „Freiheit“ nicht mehr so eng zu sehen und „Kompromisse“ einzugehen. (Anführungszeichen deshalb, weil die „Kompromisse“ oft so entstehen, dass die CDU viel mehr fordert als eigentlich mit den Bürgerrechten bzw. dem Grundgesetz vereinbar wäre und dann der „Kompromiss“ dazu führt, dass sie nicht viel sondern etwas mehr bekommt, also immer noch zu viel.)

SPD/GRÜNE/FDP: Auch wenn Al-Wazir (Spitzenkandidat der Grünen) der Meinung ist, dass die CDU/FDP-Koalition zwei Wochen vor der Wahl noch kippen könnte, halte ich dies für unwahrscheinlich. Dazu müsste schon der CDU ein massives Fettnäpfchen unter die Füße fallen. Wenn dies passieren würde, wäre eine solche Koalition durchaus denkbar, da die anderen deutlich unwahrscheinlicher sind. Dazu müsste aber erst einmal die FDP bereit sein. Eine solche Koalition wäre recht gut, mit der SPD wäre eine Partei in der Hauptrolle, die nicht unbedingt aktiv Bürgerrechteabbau befürwortet, die Grünen und die FDP würden dann die Politik unter diesem Aspekt sicher in die richtige Richtung lenken können.

CDU/Grüne (bzw. CDU/FDP/Grüne): Auch hier zunächst die Frage, warum die CDU das machen sollte, wo die FDP sicher als Koalitionspartner bereit stehen wird. Selbst wenn: Die Grünen lehnen jede Koalition mit einer Koch-geführten CDU ab, Grüne und CDU haben völlig unterschiedliche Standpunkte zu zahlreichen Kernthemen (unter anderem dem Ausbau des Frankfurter Flughafens), von denen sie kaum abrücken werden, und die Grünen greifen die CDU auf ihrer Website scharf an. Eine solche Koalition ist also unwahrscheinlich. Eine Beteiligung der FDP (falls die CDU so viele Stimmen verlieren würde, dass Koalitionen aus CDU/FDP und CDU/Grünen keine Mehrheit hätten) würde das Trio nicht gerade wahrscheinlicher oder stabiler machen. Den Grünen bzw. Grünen und FDP zusammen würde ich allerdings wenigstens etwas eher zutrauen, die CDU bei Einschränkungen der Freiheit im Wege zu stehen.

Große Koalition (CDU/SPD): Rein theoretisch zwar denkbar, aber extrem unwahrscheinlich. Die Parteien stehen sich in Hessen äußerst feindlich gegenüber, ein Koalitionsversuch dürfte beiden Parteien sehr schaden und von den Wählern nicht gern gesehen werden. Mal abgesehen davon müsste es erst einmal einen Grund geben, warum es nicht zu einer schwarz-gelben (CDU/FDP) Koalition kommen sollte. Wenn es jedoch soweit kommen sollte, hätte diese Koalition wahrscheinlich eine Zweidrittelmehrheit und könnte somit der hessischen Verfassung gefährlich werden. Weitere „Sicherheits“gesetze, die Bürgerrechte einschränken, wären wahrscheinlich. Keine gute Aussicht.

Koalitionen mit Beteiligung der Linkspartei können nahezu ausgeschlossen werden. Erstens wäre es politischer Selbstmord (die SPD hat es vorgemacht…), zweitens gibt es keine mehrheitsfähige denkbare Kombination mit Beteiligung der Linkspartei.

Die Rolle der Linkspartei ist im Vergleich zum letzten Wahlkampf vergleichsweise gering. Wenn die Linkspartei die 5%-Hürde nicht schafft, werden die anderen Parteien proportional ein größeres Gewicht haben. Davon werden also CDU/FDP am meisten profitieren, die Koalition wäre damit endgültig gesichert. Wenn die Linkspartei die 5%-Hürde schafft, wird dies eine Mehrheitsbildung mit knappen Stimmverteilungen erschweren, also auch eher der CDU/FDP nutzen. Die Effekte sind jedoch minimal, da eine rot-grüne Regierung diesmal absolut nicht in Frage kommt.

Fazit:
Die Wahl sieht ziemlich entschieden aus. Wenn kein großes Ereignis/Fettnäpfchen die Situation noch gründlich auf den Kopf stellt, kann man recht fest von einer CDU/FDP-Koalition ohne Verfassungsmehrheit ausgehen. Einzelne Wählerstimmen werden meiner Meinung nach keinen großen Ausschlag mehr geben.

Die einzigen Auswirkungen, die kleinere Mengen an Stimmen bei dieser Wahl verursachen können, sind meiner Meinung nach die auf die Höhe der staatlichen Parteifinanzierung (laut Wikipedia 0,70 bzw. 0,85 EUR pro Zweitstimme) und die Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen.

Bei der Betrachtung der Parteien, die man wählen könnte, werde ich daher vor allem auf die letzten beiden Punkte eingehen. Ob man CDU, FDP, Grüne, SPD oder Linke wählt, dürfte wie gesagt bei dieser Landtagswahl keinen großen Unterschied machen, bis auf die Finanzierung (und auch da ist es nicht wirklich viel). Daher werde ich diese Parteien nicht näher betrachten und mich direkt nur den Alternativen zuwenden. Da die zur Wahl zugelassenen Kleinparteien diesmal nicht so zahlreich, dafür diesmal umso interessanter sind, werde ich sie alle kurz behandeln.

Piratenpartei wählen – trotz des Namens eine ernstgemeinte Partei, gutes Programm, allerdings eine Themenpartei. Die Themen sind immer noch Bürgerrechte und Datenschutz (dies hat einen höheren Stellenwert eingenommen, die beiden anderen Themen sind etwas in den Hintergrund gerückt) sowie ein für beide Seiten faires Urheberrecht (also insbesondere nicht nur Verschärfungen zu Gunsten der Contentlobby) und ein besseres Patentwesen (z. B. keine Genpatente). Bei dieser Betrachtung hat sich im Gegensatz zum Vorjahr am Meisten geändert. Letztes Jahr mussten die Piraten leider auf meine Stimme verzichten, da ich davon ausging, dass sie keine Chance auf 1% der Stimmen und somit staatliche Parteifinanzierung hat, aber vor allem weil ich meine Stimme lieber auf die Abwahl von Koch verwenden wollte, da dort (durch Wahl der Linkspartei) ein knappes Ergebniss entscheidend beeinflusst werden konnte und dadurch eine direkte Änderung möglich war. Dieses Jahr jedoch kommt es auf einzelne Stimmen nicht mehr so stark an. Eine „verschwendete“ Stimme, die keinen direkten Beitrag zur Sitzverteilung bringt, tut also nicht mehr wirklich weh. Unter anderem weil viele Unentschlossene letztes Jahr in die Arme der fünf „größeren“ Parteien getrieben wurden, die sich jetzt „entspannter“ und freier entscheiden können und der vielen Datenskandale denke ich, dass die Piratenpartei eine bessere Chance hat, Stimmen zu sammeln.

Leider habe ich den Eindruck, dass bei den Piraten Wahlkampf in Form von Plakaten kaum passiert, was auf die kurzen Fristen zurückzuführen ist. Dafür haben die kurzen Fristen dazu geführt, dass (im Gegensatz zu den Piraten) viele Kleinparteien die nötigen Unterstützerunterschriften nicht zusammenbekommen haben und somit nicht auf dem Wahlzettel stehen. (Danke an alle, die gesammelt und unterschrieben haben. Für die Bundes- und Europawahl werden noch Unterschriften gebraucht!) Protestwähler, die keine der „großen fünf“, aber auch keine Rechtsradikalen wählen wollen, haben somit eine gute Chance, auf die Piraten zu stoßen. Trotz des schwächeren Wahlkampfs halte ich es daher für möglich, dass die Piraten 1% erreichen. Dies würde nicht nur dazu führen, dass sie die staatliche Parteienfinanzierung erhalten würden (was den nächsten Wahlkampf sowie die themengebundene Öffentlichkeitsarbeit erleichtern und durch letzteres eventuell Einfluss auf die Politik hätte!), sondern vor allem ein klares Zeichen für Bürgerrechte und Datenschutz (und gegen weitere Verschärfungen des Urheberrechts) gesetzt wird, aus dem die regierenden Parteien lernen könnten (und nebenbei etwas von der Parteifinanzierung der größeren Parteien abzwacken). Die Grünen haben auch klein angefangen, und wann, wenn nicht bei dieser eh schon fast entschiedenen Wahl, kann man seine Stimme derart sorglos einer kleinen Partei geben? Meine Entscheidung steht somit vorerst fest: Ich wähle Piraten. Die Entscheidung könnte sich ändern, wenn die obigen Argumente wegfallen (z. B. indem Koch ein fassgroßes Fettnäpfchen zum Reintreten findet). Ansonsten kann ich aber nur dazu auffordern: Wählt Piraten, und überzeugt andere, die diese Partei noch nicht kennen oder aufgrund des Namens für einen Haufen Verrückter oder eine Spaßpartei halten! Setzt ein kleines Zeichen. Wer übrigens denkt, dass eine solche Partei auf Landesebene nichts bringt (Urheberrecht und Patentwesen werden auf Bundes/EU-Ebene geregelt), vergisst, dass Datenschutz und Bürgerrechte (die inzwischen zu den Hauptthemen geworden sind) auf Landesebene in Form von Regelungen zur Kameraüberwachung, LKA-, Polizei- und Versammlungsgesetzen (sowie den Landesdatenschutzgesetzen) aktueller sind als je zuvor.

Für diejenigen, die zwar ein Zeichen setzen wollen, aber aus welchem Grund auch immer die Piraten nicht wählen wollen, würden sich noch die Freien Wähler anbieten. Leider bin ich über sie zu schlecht informiert, um da eine Entscheidung (Empfehlung/Ablehnung) treffen zu können. Sie scheinen aber zumindest eine ernstzunehmende und nicht offensichtich Ablehnngswürdige Wählergruppe zu sein. Genaue Themen habe ich jedoch leider nicht gefunden, die CDU besonders attraktiv scheinen sie jedoch nicht zu finden (ebenso wie die Linkspartei).

Daheim bleiben und nicht wählen zeugt immer noch eher davon, dass vielen Menschen die Politik egal ist und sie alles mit sich machen lassen, als zu zeigen, dass man keine der Wahlmöglichkeiten gut findet. Den Parteien ist es egal, es schadet der Wahlkampfkostenerstattung nicht (siehe Kommentare). Extreme Parteien und Kleinparteien profitieren von geringer Wahlbeteiligung, da sie meist ihre Wähler gut mobilisieren können. Nicht empfehlenswert.

Ungültig wählen ist ein klares Zeichen, dass man Demokratie als solche befürwortet, die Wahlmöglichkeiten aber alle ablehnt und soll die Parteien um einen Teil der Parteifinanzierung bringen, da angeblich durch ungültige Stimmen weniger Wahlkampfkostenerstattung ausgezahlt wird. hat aber keinen Einfluss auf die Parteifinanzierung. Besser als gar nicht wählen, aber wirklich ein Zeichen setzen tut man damit auch nicht. Ungültige Stimmen werden getrennt gezählt, aber genauso wie nicht abgegebene behandelt. Mehr dazu hier und unten bei den Kommentaren. Ach ja – spart euch Aufsätze auf dem Wahlzettel. Die Wahlhelfer, die am Ende gerne mal über 500 Stimmen zählen müssen, haben in der Regel weder Zeit noch Lust (nach langem Auszählen), sich sowas auch noch durchzulesen, auch wenn es öfters mal interessant sein könnte.

Rechtsradikal (NPD/REP) wählen – ganz schlechte Wahl, vor allem, wenn man die Parteien eigentlich nicht möchte, sondern nur aus Protest wählt. Jede Stimme bringt diesen Parteien Geld ein, mit dem sie weitere ausländerfeindliche Hetzkampangen veranstalten können. Und wenn sie ein Zeichen setzt, dann ein falsches.

Und zum Schluss: BüSo. Ich hab ja versprochen alle Kleinparteien die bei der Landtagswahl Hessen 2009 antreten zu nennen. Nun gut, dann wollen wir halt mal, gibt ja nur noch die hier. Die BüSo ist sehr schwer einzustufen. Ich würde sie mal als eine Mischung aus mehreren radikalen Gruppierungen definieren (links, rechts, Verschwörungstheoretiker, Öko-Extremisten, Liste fortsetzbar…) und scheine mit dieser Einschätzung nicht alleine zu sein. Es sei nur gesagt, dass sie an einem Tisch in der Darmstädter Unimensa, an dem Informatiker saßen, Laptops dabeihatten und sich über Informatik unterhielten, unbedingt ihre Werbung verteilen mussten. Titel: „Der Teufel steckt im Laptop“. Eine kleine Zeitung, die das Internet verteufelt, Killerspiele als die Wurzel allen Übels und vergleichbar mit den „bösen“ 68-ern, Drogen und wasweiß ich darstellt und sich selbst als vergleichbar mit den Flugblättern der Weißen Rose sieht. Wem das nicht reicht, möge sich deren Websites ansehen, verlinken werde ich die nicht.

Auch dieses Jahr gilt: Obige Überlegungen gelten hauptsächlich für die Zweitstimmen. Bei der Erststimme ist zu bedenken, dass es “alles oder nichts” heißt, d. h. es kommt nur der Kandidat mit den meisten Stimmen rein. Daher kann es sich lohnen, den Kandidaten der großen Partei zu wählen, zu dem man die geringste Abneigung verspürt – auch wenn man eigentlich die großen Parteien nicht unterstützen will. Es ist natürlich auch möglich, nur eine Zweitstimme abzugeben und die Erststimme wegzulassen. Nur herummalen etc. sollte man auf dem Stimmzettel nicht, wenn man nicht riskieren will, dass der gesamte Stimmzettel ungültig wird.

Ach ja, zum Thema Wahlcomputer: Diesmal nicht. Diesmal wählt Hessen ordentlich auf Papier.

Zum Thema Wahlgeheimnis und Veröffentlichung der eigenen Wahlentscheidung: Das Wahlgeheimnis soll Stimmenkauf und Einschüchterung/Erpressung/Gruppenzwang verhindern. Das Wahlgeheimnis fordert daher nicht nur, dass der Wähler seine Wahl geheim abgeben kann, sondern muss, nicht geheim gekennzeichnete Stimmzettel dürfen nicht angenommen werden. Hingegen darf der Wähler nach der Wahl seine Wahlentscheidung öffentlich verkünden. Da er keine Möglichkeit hat, die Richtigkeit dieser Aussage zu beweisen, wird dadurch keine Einschüchterung möglich. Ein unter Druck gesetzter Wähler kann behaupten, die geforderte Wahl getroffen zu haben, in Wirklichkeit aber frei eine andere Partei gewählt haben, und egal was jemand von im fordert/erwartet – es gibt keine Möglichkeit zu verhindern, dass der Wähler lügen kann, solange die Wahlhelfer die Vorschriften beachten (es kann höchstens die Teilnahme an einer Wahl verhindert/erzwungen werden).

Bei der Briefwahl wird dieses Prinzip geopfert (es wird nicht sichergestellt, dass der Wähler geheim wählen muss), um mehr Wählern die Wahl zu ermöglichen. Diese Problematik taucht auch bei Wahlcomputern mit Papierbeleg (”voter-verified paper audit trail”) auf: Es muss sichergestellt sein, dass der Wähler den Beleg nicht mitnehmen kann, da er sonst einen Beweis der abgegebenen Stimme mitnehmen könnte.

Update: Mir wurde ein Link zu einem recht interessanten Projekt namens „Wahlautomat“ (nicht der Wahl-o-mat!) geschickt. Dort kann man virtuell für die Parteien abstimmen und bekommt vor allem die Kandidaten vorgestellt (direkt zur Landtagswahl Hessen 2009 geht es hier lang). Ziel ist explizit nicht irgendeine repräsentative Statistik, die Betreiber wissen das man die so nicht bekommt. Es geht eher darum, Politikinteresse und -verständnis zu fördern. Das Projekt wird ehrenamtlich in Zusammenarbeit mit der TU Chemnitz betrieben. Ach ja: Man sieht deutlich, dass die Zahlen nicht repräsentativ sind, das ist aber kein Grund, wie kleine Kinder einen Wettbewerb anzufangen, wer am Besten „seine“ Partei vorantreiben kann. Ich hoffe, dass meine Leser da etwas zivilisierter und geistig erwachsener sind als das was man sonst gewohnt ist.

Wahlfälschung in Deutschland

In Deutschland werden Wahlen gefälscht, und zwar schon vor dem Wahltag:

In Hannover versucht jemand, mit gefälschten Briefen die Wähler zu täuschen, die Wahl sei erst in einem Monat und nicht heute. Natürlich kann es sich um irgendeinen Idioten handeln, der einfach nur Chaos stiften will. Leider steht in den meisten Quellen nur, dass „einige Stadtteile“ betroffen sind. Es gibt aber auch genauere Angaben: Südstadt und List. Also mal schnell geschaut, welche Partei dort führend ist. Bingo: SPD und Grüne. Daraus allein kann man noch nichts ableiten, denn das gilt im Großteil der Stadt, doch es gibt auch Stadtteile, in denen CDU/FDP genauso deutlich führen. Falls es sich also nicht nur um einen (äußerst dämlichen) Streich handelt, der irgendeine Art von Chaos verursachen soll, sondern die Briefe mit Fälschungsabsicht verschickt wurden, düften Anhänger von CDU oder FDP dahinter stecken.

In Frankfurt, Hessen sind wohl Wahlbenachrichtigungen nicht angekommen. Laut dem TAZ-Artikel geht das Gerücht um, dass dies absichtlich und gezielt in einem Stadtteil mit einem hohen Anteil von Grünwählern geschah, was bedeuten würde, dass den Grünen geschadet werden soll.

Hinter dem größten bekanntgewordenen Wahlfälschungsskandal in der BRD steckte übrigens die CSU. Und nur, weil es klare Beweise gab, wurde auch nachgeprüft. Die Schuldigen bekamen am Ende Bewährungsstrafen.

Landtagswahl Hessen (2008): Koalitionen, Taktik, sichere Wahlen

2008-01-24 7 Kommentare

Dies ist der Überblick für die vergangene Wahl 2008, der für 2009 findet sich hier.

Ich habe die Parteien mal ein wenig bezüglich möglicher Koalitionen ausgequetscht und deren öffentliche Positionen angeschaut. Sollte die Linkspartei aufgrund der 5%-Hürde nicht in den Landtag kommen, dürfte es auf Schwarz-Gelb oder Rot-Grün hinauslaufen. Da derzeit je nach Umfrage Schwarz-Gelb mehrere Prozent Vorsprung vor Rot-Grün hat, gehe ich davon aus, dass in diesem Fall eine Schwarz-Gelbe Koalition regieren würde.

Interessanter ist also der Fall, was passiert, wenn die Linkspartei es schafft. Dann kann davon ausgegangen werden, dass neben der Großen Koalition nur Koalitionen aus einer großen und zwei kleinen Parteien eine Mehrheit bekommen können. Betrachten wir also die einzelnen Möglichkeiten und was die Parteien dazu sagen.

Große Koalition – meiner Meinung nach fast der Worst-Case (nur Schwarz-gelb könnte evtl. schlimmer sein), wird aber sowohl von der CDU als auch von der SPD äußerst vehement ausgeschlossen (bei der CDU habe ich nur, was öffentlich verkündet wurde, da sie auf meine Mail noch nicht geantwortet hat). Beide Parteien beteuern, dass sich daran auch nach der Wahl nichts ändern wird. Die Grünen befürchten, dass es doch passiert, die LINKE hält es auch für möglich, denn vor der Bundestagswahl wurde eine Große Koalition ja auch abgelehnt, ebenso wie die SPD zugesichert hat, die MwSt. nicht zu erhöhen (trotzdem ist beides passiert). Allerdings habe ich den Eindruck, dass in Hessen CDU und SPD deutlich weiter voneinander entfernt sind und eine große Koalition unwahrscheinlicher ist als auf Bundesebene, sie wurde hier auch deutlicher abgelehnt als vor der Bundestagswahl. Zudem hat Ypsilanti zugesichert, die Studiengebühren abzuschaffen (das sei auch nicht verhandelbar), was mit der CDU zusammen sicher nicht gelingen würde. Zu bedenken ist natürlicih, dass die Geschichte lehrt: Politiker lügen. Ob sich die großen Parteien so eine Lüge leisten wollen ist fraglich, zumal ja in anderen Bundesländern Wahlen anstehen. Vermutlich würde so eine Koalition zumindest die Entfernung von Koch vorraussetzen (siehe unten).

CDU-FDP-Grüne – Die Grünen haben angekündigt, nicht mit der Koch-CDU zu koalieren. Die Aussage klingt so, als ob eine Koalition mit der CDU denkbar wäre, wenn diese Koch austauscht, es wird immer nur betont, dass die Grünen nicht mit Koch zusammenarbeiten können. Die Möglichkeit, dass die CDU im Notfall Koch ersetzt und so eine Koalition erreicht, wurde mir auch von Seiten der Linkspartei genannt und klingt realistisch. Die FDP schließt eine Koalition mit Beteiligung der Grünen „definitiv“ aus, allerdings klang das „definitiv“ nicht so überzeugend wie die „100%“, mit denen eine Koaltion mit der SPD ausgeschlossen wird.

SPD-FDP-Grüne – die FDP schließt sowohl eine Koaltion mit der SPD „100%“-ig aus (da klang am Telefon die Pressestelle recht überzeugt) als auch eine mit Beteiligung der Grünen (da klang das „definitiv“ weniger überzeugend, vor allem wenn man den Grundsatz „Poltiker lügen“ beachtet). Die SPD sieht das als Option, die Grünen haben sich zu dieser Möglichkeit mir gegenüber nicht geäußert, ich gehe davon aus, dass sie damit auch einverstanden wären. Die Ziele der FDP weichen jedoch insbesondere von den Zielen der Grünen (aber auch von denen der SPD) stark ab, es könnte also interessant werden. Allerdings ist die FDP ein recht kleiner Koalitionspartner und könnte vermutlich (hoffentlich) nicht zu viel durchsetzen, zumal bei Widerstand der FDP ein Gesetz auch mithilfe der Stimmen der Linkspartei durchsetzbar sein könnte. Ich halte diese Koalitionsmöglichkeit für schwierig, aber realistisch und für eine Möglichkeit, mit der ich halbwegs gut leben könnte.

SPD-GRÜNE-LINKE – diese Koalition wird von der Linkspartei angestrebt, allerdings lehnen sowohl SPD als auch Grüne die Koalition mit der Linkspartei ab. Wie standfest sie dabei sind, ist natürlich fraglich. Ich hoffe, dass die Bereitschaft zu einer solchen Koalition größer ist als die Bereitschaft zu einer Großen Koalition.

SPD-GRÜNE mit Duldung der LINKEN – ebenfalls eine sehr interessante Option: SPD und Grüne bilden eine Minderheitenregierung und regieren zusammen mit der LINKEN, ohne offiziell eine Koalition mit ihr einzugehen. Ich halte es für eine realistische und recht gute Möglichkeit.

Theoretisch mögliche Koalitionen mit Beteiligung der CDU und Linkspartei behandle ich hier nicht, das dieses Szenario völlig unrealistisch ist. Wär aber nicht schlecht, da damit sowohl die CDU als auch die Linkspartei damit bei den Wählern unten durch wären (wobei es um erstere deutlich noch deutlich weniger schade wäre als um letztere), ebenso wie die dritte beteiligte Partei (Grüne wegen der Koaliton mit CDU, FDP weger der Koalition mit Linkspartei). Genauso unwahrscheinlich dürfte SPD-FDP-LINKE sein, FDP und LINKE wären bei ihren Wählern damit komplett unten durch.


Jetzt stellt sich mir die Frage: Wie sollte ein Wähler wählen, der die CDU auf jeden Fall weg haben will (auf jeden Fall die Koch-CDU, aber eigentlich auch ohne Koch), die FDP lediglich als ein geringeres Übel als die CDU ansieht und eher links wählen will?CDU oder FDP direkt zu unterstützen wird er sich hüten.

Die SPD ist relativ nah an der politischen Mitte, das kann man positiv oder negativ sehen, je nach persönlicher Einstellung. Mit einer Stimme für die SPD unterstützt man zwar die Möglichkeit, dass es zu Rot-Grün kommt (vor allem falls die Linke unter 5% bleibt), allerdings kann es auch zu einer Großen Koalition kommen, der man seine Stimme eben nicht geben wollte. In dem Fall stärkt man aber die Position der SPD innerhalb der Großen Koalition, ganz verschwendet ist die Stimme also auch in diesem Fall nicht.

Die Grünen zu wählen stärkt die Chancen für eine Rot-Grüne Koalition, allerdings fehlen dazu noch laut Umfragen ein paar Prozent. Sobald die Linkspartei aber über 5% hat, ist Rot-Grün unwahrscheinlich. Dann droht eine Schwarz-Gelb-Grüne Koalition, sodass man mit der Stimme für die Grünen indirekt fast schon die CDU unterstützt, was man ja vermeiden sollte.

Die Linkspartei ist teilweise sehr populistisch, hat oft keine wirklich sinnvollen Vorschläge und ist sehr links. Wenn man sie wählt, unterstützt man damit die Überwindung der 5%-Hürde und die Umwandlung der Entscheidung „Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün“ in eine interessante, aber gefährliche Situation, in der am Ende Koalitionsverhandlungen darüber entscheiden, wer regiert. Wenn man aber Schwarz-Gelb als die schlimmste Option ansieht und davon ausgeht, dass Schwarz-Gelb etwas mehr Stimmen als Rot-Grün bekommen wird, ist das die einzige Möglichkeit, „das Schlimmste“ zu verhindern – denn nur bei der Linkspartei können wenige Stimmen einen großen Unterschied machen (genauer: eine einzige Stimme kann 5% der gesamten Wählerstimmen entsprechen), während bei Rot-Grün sich mindestens ca. 1-2% der Wähler im Vergleich zu den aktuellen Umfrageergebnissen umentscheiden müssten. Wenn noch eine neue Umfrage erscheinen sollte, in der Rot-Grün vor Schwarz-Gelb liegt, wird die Linkspartei weniger interessant – ansonsten ist die Linkspartei eventuell die beste Wahl, selbst wenn man eigentlich nicht viel von ihr hält.

Alternativ gibt es noch andere Möglichkeiten, die aber keinen direkten Einfluss auf das Wahlergebnis haben:

Daheim bleiben und nicht wählen zeugt eher davon, dass vielen Menschen die Politik egal ist und sie alles mit sich machen lassen, als zu zeigen, dass man keine der Wahlmöglichkeiten gut findet. Den Parteien ist es egal, es schadet der Wahlkampfkostenerstattung nicht. Extreme Parteien und Kleinparteien profitieren von geringer Wahlbeteiligung, da sie meist ihre Wähler gut mobilisieren können.

Ungültig wählen ist ein klares Zeichen, dass man die Wahlmöglichkeiten alle ablehnt und soll die Parteien um einen Teil der Parteifinanzierung bringen, da durch ungültige Stimmen weniger Wahlkampfkostenerstattung ausgezahlt wird.

Piratenpartei – gutes Programm, allerdings eine Themenpartei. Werde ich wohl nicht wählen, da ich nicht davon ausgehe, dass sie eine Chance auf Wahlkampfkostenerstattung (d. h. 1% der Stimmen) hat und ich meine Stimme lieber dafür einsetze, Koch abzuwählen.

Rechtsradikal wählen – ganz schlechte Wahl, vor allem, wenn man die Parteien eigentlich nicht möchte, sondern nur aus Protest wählt. Jede Stimme bringt diesen Parteien Geld ein, mit dem sie weitere ausländerfeindliche Hetzkampangen veranstalten können.

ERGÄNZUNG: Obige Überlegungen gelten hauptsächlich für die Zweitstimmen. Bei der Erststimme ist zu bedenken, dass es „alles oder nichts“ heißt, d. h. es kommt nur der Kandidat mit den meisten Stimmen rein. Daher kann es sich lohnen, den Kandidaten der großen Partei zu wählen, zu dem man die geringste Abneigung verspürt – auch wenn man eigentlich die großen Parteien nicht unterstützen will.


Zum Thema Wahlgeheimnis und Veröffentlichung der eigenen Wahlentscheidung: Das Wahlgeheimnis soll Stimmenkauf und Einschüchterung/Erpressung/Gruppenzwang verhindern. Das Wahlgeheimnis fordert daher nicht nur, dass der Wähler seine Wahl geheim abgeben kann, sondern muss, nicht geheim gekennzeichnete Stimmzettel dürfen nicht angenommen werden. Hingegen darf der Wähler nach der Wahl seine Wahlentscheidung öffentlich verkünden. Da er keine Möglichkeit hat, die Richtigkeit dieser Aussage zu beweisen, wird dadurch keine Einschüchterung möglich. Ein unter Druck gesetzter Wähler kann behaupten, die geforderte Wahl getroffen zu haben, in Wirklichkeit aber frei eine andere Partei gewählt haben, und egal was jemand von im fordert/erwartet – es gibt keine Möglichkeit zu verhindern, dass der Wähler lügen kann, solange die Wahlhelfer die Vorschriften beachten (es kann höchstens die Teilnahme an einer Wahl verhindert/erzwungen werden).

Bei der Briefwahl wird dieses Prinzip geopfert (es wird nicht sichergestellt, dass der Wähler geheim wählen muss), um mehr Wählern die Wahl zu ermöglichen. Diese Problematik taucht auch bei Wahlcomputern mit Papierbeleg („voter-verified paper audit trail“) auf: Es muss sichergestellt sein, dass der Wähler den Beleg nicht mitnehmen kann, da er sonst einen Beweis der abgegebenen Stimme mitnehmen könnte.


An folgenden Orten wird mit Wahlcomputern gewählt, nachdem ein Eilverfahren dagegen gescheitert ist: Alsbach-Hähnlein, Bad Soden, Lampertheim, Langen, Niedernhausen, Niestetal, Obertshausen und Viernheim

Von einem Flyer der Grünen habe ich erfahren, dass man auch schon vor dem Wahltag beim Wahlamt der Heimatgemeinde seine Stimme abgeben kann. Vielleicht ist das ja eine interessante Alternative für diejenigen, die per Briefwahl wählen wollten um nicht an einem Wahlcomputer wählen zu müssen. Der Vorteil dürfte sein, dass es mehr auffällt und man eventuell den Sachbearbeitern dort sagen kann, weswegen man dort wählt.

Lustig ist auch, dass die Ergebisse scheinbar (nicht anscheinend) vorher feststanden. Das ZDF hat seine Mediathek getestet und dabei ein fiktives Ergebnis präsentiert (hab leider nur das aus Niedersachsen, und wer auch immer das gemacht hat hat wohl was gegen die Linkspartei). Bedenklich wäre es nur, wenn das fiktive Ergebnis plötzlich mit dem echten übereinstimmen würde.