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Bahnwahn
„Allein die GDL für Streik-Chaos verantwortlich“
Pressemitteilung der DB
Stimmt das? Nun, es ist fast richtig, wenn man ein Wort tauscht:
Allein die Deutsche Bahn für Streik-Chaos verantwortlich
So stimmt es schon eher. Natürlich ist die Bahn nicht allein Schuld, aber ich finde es interessant, mit welcher Vehemenz sie behauptet, dass nur die GDL schuld ist. Meist gilt: Je „lauter“ (extremer) etwas behauptet wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Lautstärke der Behauptung über den mangelnden Wahrheitsgehalt hinwegtäuschen soll – so auch hier. Die GDL befindet sich in einem rechtmäßigen Streik. Sie hat ihn rechtzeitig angekündigt (was mich nach den Klageaktionen der Bahn übrigens sehr überrascht). Die GDL hat das Recht, „Chaos zu verursachen“ – auch wenn dafür diesmal wohl eher die Bahn verantwortlich war (wenn auch natürlich nicht allein).
Ich musste heute von Frankfurt nach Darmstadt und wieder zurück. Daher habe ich gestern abend die kostenlose Streikhotline der Bahn (08000996633) angerufen, da erfuhr ich, dass im Gegensatz zum letzten Streik diesmal keine freie Zugwahl gelte, wenn ein Zug ausfällt (beim letzten Streik konnte man frei wählen, welchen Zug man nimmt, selbst wenn vielleicht der eigene Zug fuhr) – Ausnahmen müssen vor Ort entschieden werden.
Ich bin früher aufgestanden, um den IC um 8:20 nehmen zu können, falls die Regionalbahn um ca. 8:35 ausfällt (oder es doch möglich ist, jeden Zug zu nehmen). Laut Anzeigetafel sollte die RB fahren, und auf Nachfrage bekam ich von mehreren Mitarbeitern die Auskunft, dass der IC tabu ist, selbst wenn der eigene Zug ausfällt! Nachdem ein Mitarbeiter mir sagte, dass die Anweisung „letzte Nacht von Oben, und zwar nicht von Normal-Oben, sondern ganz Oben“ kam, vermutete ich, dass die Bahn das wohl so mache, um die Kunden zu verärgern und gegen die GDL aufzuhetzen. Der Mitarbeiter stimmte dem auch zu, und ich denke, es spricht genug dafür, dass es so ist: In der Nacht frische Anweisung offenbar von oben (das Verhalten der anderen Mitarbeiter deutete auch auf sowas hin, sollte also stimmen), Unterschied zum letzten Mal, widersprüchliche Angaben und abgeschaltete Anzeigetafeln (siehe unten) und natürlich die Bestätigung des Mitarbeiters.
Nachdem dann 3 Minuten vor der geplanten Abfahrt die RB doch ausfiel (warum wollte ich wohl den IC nehmen?), empfahl mir einer der Mitarbeiter, auf die nächste RB um 9:06 zu warten (aber sicher, nur damit die auch 3 Minuten vor Abfahrt gestrichen wird) – ich ging lieber zu den S-Bahnen und tatsächlich – die fuhren. An der Anzeigetafel stand jedoch, dass keine Zuganzeige möglich sei – mit den heutigen Mitteln (automatische Zugverfolgung etc.) sollte es ja wohl möglich sein zu ermitteln, welche Züge in den nächsten 20 Minuten fahren, daher könnte auch das möglicherweise Taktik gewesen sein.
Aus der S-Bahn rief ich vom Handy die kostenlose Streikhotline an. Dort wurde mir erzählt, natürlich dürfte ich bei Ausfall meines Zuges einen anderen Zug nehmen, am Bahnhof wäre mir Unsinn erzählt worden (obwohl ich mehrere Mitarbeiter gefragt habe). Auf dem Rückweg (man hat ja Zeit in der Straßenbahn, der Akku hält lange und die Nummer ist kostenlos) habe ich nochmals per Handy nachgefragt – selbstverständlich könnte ich bei einem Zugausfall den nächsten Zug nehmen, egal welcher Preisklasse. Aha. Also ist die Auskunft der Hotline wohl zumindest reproduzierbar. Am Bahnhof sah ich, dass ich wohl 10 Minuten auf die S-Bahn warten würde, wenn sie kommt, die Schlange am Infoschalter war zu lang, also das Sicherheitspersonal, welches teilweise auch Fahrkarten kontrolliert, gefragt – natürlich dürfe ich nicht jeden Zug nehmen, wenn mir so ein Unsinn an der Hotline erzählt würde, dann hätte ich mir den Namen aufschreiben müssen, damit ich mich dann beschweren könnte, „wenn sie mich schreiben würden“. Super – das „Bodenpersonal“ gibt also ebenfalls reproduzierbar von sich, dass man bei einem streikbedingten Zugausfall nicht den nächsten Zug, egal welcher Art, nehmen darf. Begründet wurde das damit, dass der Fernverkehr ja nicht betroffen sei (aha, wenn also die Fernverkehrszüge fahren, darf ich sie, weil sie fahren, nicht nehmen…) – bei einem anders verursachten Ausfall (Zug defekt etc.) wäre es wohl anders. Ein weiteres Indiz, dass wohl nur die Fahrgäste verärgert werden sollen. Wenn die Bahn sich beim Streik auf „höhere Gewalt“ beruft, sollte sie doch *mindestens* die im Fall höherer Gewalt geltenden Regeln anwenden…
Die Saft-, Wasser-, Croissants- und Gummibärchenverteiler sollen wohl dazu beitragen, dass die Bahn als toller Servicebetrieb dargestellt wird, der alles dafür tut, das grausame, nur von der unverantwortlichen GDL verursachte Übel zu mildern, gegen das die Bahn nichts tun kann. Das ist auch der Tenor in der Presseerklärung – die GDL sei allein für alles verantwortlich, und nicht etwa die Bahn, die sich weigert, unbürokratisch Ausweichzüge anzubieten und wohl alles daran setzt, die Situation im Verborgenen zu verschlechtern, um die Unterstützung der GDL in der Öffentlichkeit zu untergraben. Tja, ich hab ein Croissant in mich hineingestopft, den Saft getrunken und die Gummibärchen gemampft (hoffentlich verursachen die Verteilaktionen wenigstens ordentlich Kosten), meine Meinung geändert hat es aber nicht gerade.
Die „fehlenden“ Notfahrpläne hingegen empfand ich als große Erleichterung. Obwohl die Bahn entgegen ihrer Behauptungen sicherlich etwas hätte machen können, wenn sie gewollt hätte, war der Verkehr ohne Notplan doch deutlich besser als letztes Mal, wo es einen Notplan gab. Die Behinderungen hielten sich für mich wirklich extrem in Grenzen.
Ich finde es allerdings erschreckend, dass das Streikrecht derart unterwandert wird – zuerst das gerichtliche Verbot von Streiks im Güterverkehr, wo der Streik die Bahn wirklich treffen und die Fahrgäste weitgehend verschonen würde, dann die Verpflichtung von eigentlich streikenden Zugführern zu „Notdiensten“ – d. h. ein Streikverbot für diese Personen. Dass ein Gericht auch noch eine Einstweilige Verfügung dagegen wegen mangelnder Dringlichkeit abgelehnt hat, ist eine Frechheit – was soll noch dringlicher sein, als ein gerade (zum Zeitpunkt des Urteils) laufender und in ein paar Tagen wieder anfangender Streik? Die GDL sollte die bei der Bahn beliebte Taktik einsetzen, bei vielen Gerichten so lange zu klagen, bis eines die Einstweilige Verfügung erlässt. Außerdem hoffe ich stark, dass bald ein Gericht die Streiks im Güter- und Fernverkehr wieder erlaubt und die GDL dann sofort zuschlägt, ohne der Bahn wieder eine Chance zu geben, ein Verbot zu erwirken. Und dann soll die Bahn ruhig mal versuchen, den gewerblichen Kunden zu erklären, dass an dem Chaos nur die GDL schuld ist – die lassen sich nämlich nicht mit ein paar Trinkpäckchen abspeisen. Mal schauen, ob dann auch gezielt Beförderungen ausfallen, oder ob man sich gegenüber Firmen doch nicht traut, was man mit Privatpersonen machen kann.
Und ich hoffe doch sehr, dass die Privatisierung der Bahn damit ins Wasser fällt.