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Erziehung im Fernsehen
Bei RTL läuft zur Zeit die dritte Staffel von „Teenager außer Kontrolle – Letzter Ausweg Wilder Westen“, Kabel 1 bietet „Die strengsten Eltern der Welt“, und überhaupt haben Erziehungsshows wieder mal trotz Wirtschaftskrise Hochkonjunktur. Neben zahlreichen anderen Shows („Die Super Nanny“ etc.), denen ich mich hier nicht widmen werde, treten die beiden oben genannten Sendungen dadurch hervor, dass sie auf den ersten Blick ein ähnliches Konzept haben: Problematische Jugendliche werden einige Zeit in eine andere Umgebung gebracht, wo sie mehr oder weniger erzogen werden sollen. Auf diese beiden Sendungen möchte ich hier näher eingehen, da sie auf den ersten Blick ähnlich, auf den zweiten jedoch völlig unterschiedlich sind. Die Aussagen über „Teenager außer Kontrolle“ beziehen sich auf die schon vor einiger Zeit gesendete zweite Staffel, die ich mir vollständig angetan (Spaß macht sowas nicht, erträglich wird es nur dank 1,5-facher Abspielgeschwindigkeit per SMPlayer) und dabei auch fleißig Notizen gemacht habe (eine Seite habe ich leider vermutlich verloren, der Kram lag schon seit der 2. Staffel hier). Die Aussagen über „Die strengsten Eltern der Welt“ beziehen sich nur auf die Sendung vom 7.3.2009 ab 14:15 – nochmal tue ich mir so einen Marathon nicht an.
Zunächst einmal unterscheiden sich die Sendungen in der Auswahl der „Problemjugendlichen“: Während „Die strengsten Eltern der Welt“ eher für vergleichsweise harmlose Fälle von schwierigen Jugendlichen gedacht zu sein scheint, welche keine Lust haben den Müll rauszubringen (um es mal salopp zu formulieren), geht es in „Teenager außer Kontrolle“ primär um die wirklich üblen Problemfälle von Jugendlichen, die stark in Jugendkriminalität, Drogenmissbrauch etc. abgedriftet sind und ihre Umgebug terrorisieren. Bei beiden Sendungen gehe ich davon aus, dass die Jugendlichen möglichst übertrieben schlecht dargestellt werden. Bei „Teenager außer Kontrolle“ ist es offensichtlich und extrem, bei „Die strengsten Eltern der Welt“ noch vergleichsweise harmlos. Wie schlimm die Fälle wirklich sind, kann man als Außenstehender daher kaum beurteilen. Ich gehe im Folgenden davon aus, was in den Sendungen gesagt, behauptet oder suggeriert wird. Mir ist klar, dass das teilweise falsch sein wird, aber die Annahmen sind in den seltensten Fällen vorteilhaft für meine Bewertung der jeweiligen Sendung. Falls die Sender sich aufgrund ihrer eigenen Falschinformationen ungerecht kritisiert fühlen, dürfen sie gerne die entsprechenden Punkte richtigstellen.
Der zweite Unterschied ist die Art der Serie: Während bei „Die strengsten Eltern der Welt“ scheinbar jede Folge bei einer anderen Familie untergebracht werden und in jeder Folge auch andere Jugendliche behandelt werden, fand bisher jede Staffel von „Teenager außer Kontrolle“ in je einer amerikanischen Erziehungseinrichtung statt, wobei immer eine ganze Staffel eine Gruppe Jugendlicher begleitet. Soweit die Rahmenbedingungen.
In beiden Fällen wird den Jugendlichen offenbar verschwiegen, worauf sie sich einlassen. Wie freiwillig die Jugendlichen jeweils teilgenommen haben weiß ich nicht, eine informierte Entscheidung haben sie darüber aber wohl kaum treffen können. Im Fall von „Teenager außer Kontrolle“ gab für einen Teilnehmer die Wahl zwischen Teilnahme und Jugendknast, bei „Die strengsten Eltern der Welt“ wird angedeutet, dass ein „Abenteuerurlaub“ versprochen wurde. (UPDATE: In der „Oliver Geisen Show“ vom 17.3.09 – im Stream hier bei 0:33:10 – erzählt eine Teilnehmerin von „Teenager außer Kontrolle“, dass ihr ein „Ferienlager“ versprochen wurde.)
Da hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Schon mal vorweg: Während ich „Die strengsten Eltern der Welt“ recht gut finde, habe ich wegen der ersten Staffel von „Teenager außer Kontrolle“ die Staatsanwaltschaft gebeten, das ganze auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen.
Wo liegen also die größten Unterschiede für die Jugendlichen? Nun, fangen wir mal bei der Dauer der Programme an. Bei „Die strengsten Eltern der Welt“ steht von vorne herein fest, dass der Austausch 10 Tage dauern wird. Selbst wenn es einem nicht gefällt, weiß man also, dass man nach 10 Tagen raus ist. Bei „Teenager außer Kontrolle“ ist es anders – die Dauer der „Therapie“ ist offen – so lange bis die Jugendlichen „die Therapie erfolgreich durchlaufen haben“, mindestens jedoch sechs Wochen. Davon werden mindestens drei damit verbracht, mit über 20 kg schweren Rucksäcken bis zu 15 km täglich durch die Wüste zu wandern, bei glühender Hitze tagsüber und -1 Grad Außentemperatur nachts, wenn die Jugendlichen in ihren Zelten schlafen müssen. Immer wieder wird damit gedroht, dass wer nicht mitmacht von vorne anfangen muss.
Bei „Die strengsten Eltern der Welt“ wurden die Jugendlichen diesmal bei einer religiösen Gemeinschaft untergebracht, in der recht strenge Regeln gelten und jeder hart arbeitet. Die diversen Regeln dieser Gesellschaft sind aus modern-westlicher Sicht natürlich schwer verständlich bis „mittelalterlich“, wie auch insbesondere die Kleidung, die die Jugendlichen tragen sollen. Das Mädchen beginnt zu weinen, als ihr die Umstände mitgeteilt werden, in denen sie die nächsten Tage leben wird, sowie die Tatsache, dass sie auch diverse Arbeiten erledigen muss (was sie daheim wohl recht erfolgreich vermieden hat). Ob die gegebene Begründung „Heimweh“ zutrifft oder es einfach nur zu viel auf einmal war, sei dahingestellt, offensichtlich unmenschlich ist das Ganze aber nicht gerade. Einen Fernseher gibt es nicht, MP3-Player sind nur im eigenen Zimmer erlaubt, und die Teilnehmerin soll ein Kleid tragen, welches – sagen wir einfach mal nicht gerade in die aktuellen Modevorstellungen passt. Als sie dies nicht will, wird das jedoch recht schnell akzeptiert und sie darf in ihren Jeans bleiben.
Nicht so bei „Teenager außer Kontrolle“ – die Jugendlichen bekommen nach ihrer Ankunft einheitliche Kleidung in Signalfarben, um sie bei Fluchtversuchen leichter finden zu können. Alle persönlichen Gegenstände werden ihnen abgenommen, sie müssen sich ausziehen und werden kontrolliert, damit sie keine Gegenstände am Körper verstecken. Piercings müssen (schmerzhaft) entfernt werden. Bei der nächtlichen Fahrt zur Wüste wird betont, dass die Nacht gewählt wurde, damit die Jugendlichen sich den Weg nicht merken können, um später zu fliehen. (Ein weiterer erwünschter Nebeneffekt dürfte sein, dass sie müde sind und deswegen weniger Probleme machen.) Aber auch sonst dürfte die Fluchtgefahr gering sein – das Erziehungsprogramm setzt auf bewährte Methoden aus den russichen Gulags (Zwangsarbeits- und Umerziehungslagern). Diese waren teilweise nur leicht umzäunt – allerdings lagen in alle Richtungen mehrere dutzend Kilometer Eiswüste. Genauso wird verhindert, dass die gegen ihren Willen im Programm platzierten Jugendlichen sich aus dem Staub machen – Zivilisation ist mehrere Tagesmärsche entfernt, wie immer wieder betont wird. Allein dies dürfte deutlich machen, was von dem Programm zu halten ist. Wer jetzt davon ausgeht, dass sei ein Fake fürs Fernsehen: Ich glaube das leider nicht. Existenz und Vorgehensweise dieser Programme in den USA sind öffentlich, und auch Todesfälle sind dokumentiert.
Bei „Die strengsten Eltern der Welt“ kommunizieren die Jugendlichen regelmäßig mit ihren Eltern und können sich untereinander und mit der Gastfamilie unterhalten. Bei „Teenager außer Kontrolle“ ist jegliche Kommunikation anfangs verboten. Später dürfen sie Briefe von den Eltern empfangen, und sogar unter strenger Aufsicht mit ihnen telefonieren – aber erst, nachdem sie sich das „Privileg“ durch absoluten Gehorsam „verdient“ haben. Damit wird gleichzeitig sichergestellt, dass nur bereits gebrochene Jugendliche mit ihren Eltern sprechen und so wenig Kritik nach außen dringt. Aus ähnlichen Programmen ist bekannt, dass Versuche, die Eltern zum Abbruch der „Therapie“ zu bewegen, zu einer sofortigen Kontaktsperre bzw. einem Abbruch des Gesprächs führen oder zumindest damit gedroht wird. Die Eltern werden bei „Teenager außer Kontrolle“ generell wenig über den Verlauf des Programms informiert. (Zitat: „Ich finde es schade, dass bei euch das Netz so schlecht ist und wir nicht mehr erfahren können wie es bei euch läuft“)
In „Die strengsten Eltern der Welt“ müssen die Jugendlichen sich an den Arbeiten in der Gemeinde beteiligen – zum Beispiel den Boden mit einem Lappen wischen (weil Wischmöppe angeblich nicht so ein gutes Ergebnis bringen). Das ist zwar für westliche Verhältnisse unüblich und könnte als Schikane erscheinen, doch es ist dort üblich und alle anderen Gemeindemitglieder machen es genauso. Deswegen lässt die Teilnehmerin, die diese Aufgabe machen soll, sich auch recht schnell darauf ein. Die oft gezeigte Unwilligkeit, eine bestimmte Arbeit auszuführen, ist eindeutlig schlicht und einfach Faulheit. Rasenmähen, Waschen, Kochen oder das Zusammenbauen einfacher Möbel sind nicht gerade Arbeiten, die man Jugendlichen nicht zumuten könnte. Dennoch werden die Jugendlichen zu den Arbeiten nicht gezwungen. Einige Aufgaben (Traktor-Rasenmäher fahren) machen ihnen sogar Spaß, und auch an den Freizeitaktivitäten nehmen sie teil. Sie werden immer freundlich behandelt und keine der Aufgaben verletzt ihre Würde. Das einzige Problem was auftreten könnte ist mit der Religion bzw. der Teilnahme an Gebeten, aber auch hier scheint es keinen Druck oder gar Zwang gegeben zu haben mitzubeten.
Die Schikanen in „Teenager außer Kontrolle“ hingegen sind willkürlich und unmenschlich. Als Strafe für irgendein Vergehen muss ein Teilnehmer am Ende des Tagesmarsches 45 Minuten mit dem schweren Rucksack in der Sonne stehen. Wenn jemand nicht mehr kann, wird er weitergetrieben, schließlich sei er nur faul – Erschöpfung gibt es wohl nicht. Wer stürzt, hat das absichtlich gemacht, wer sich eine Druckstelle einhandelt, war zu faul, den Rucksack richtig zu packen. Auf weitere Details gehe ich später noch ein.
Hier möchte ich zunächst ein kurzes Fazit ziehen. Die Unterschiede dürften deutlich geworden sein. Natürlich sollte man berücksichtigen, dass die Programme an völlig unterschiedliche Arten von Jugendlichen gerichtet sind. „Die strengsten Eltern der Welt“ erreicht nur einen begrenzten Effekt, nur geringe Änderungen des Verhaltens der Teilnehmer. Dafür sind die Teilnehmer zufrieden und glücklich und haben auch während des Programms Spaß gehabt und wurden nie misshandelt.
„Teenager außer Kontrolle“ hingegen erreicht eine völlige Veränderung des Verhaltens. Die verwendeten Methoden sind mehr als fragwürdig, die Bezeichung „Gehirnwäsche“ durchaus passend. Ein Vergleich mit diversen Umerziehungsprogrammen totalitärer Regimes drängt sich geradezu auf. Ich bin mir sicher, dass einige nun sagen werden, dass dies trotzdem in Ordnung sei, schließlich werde den Jugendlichen eine kriminelle Karriere erspart etc. Dem möchte ich energisch widersprechen. Nicht umsonst ist die Würde des Menschen in Deutschland unantastbar, und nicht umsonst ist dies eine absolute Grenze, die nie überschritten werden darf, auch nicht zum langfristigen Wohle des Betroffenen. Die Debatte ist bereits in anderer Form geführt worden, z. B. beim Luftsicherheitsgesetz und beim Fall Daschner (Folter des Entführers zur Rettung einer Geisel), und dort eigentlich abschließend geklärt worden. Ich betrachte diesen Teil der Diskussion daher als abgeschlossen. Egal wie gut die Absichten sind – menschenunwürdige Methoden sind ausnahmslos durch nichts zu rechtfertigen.
Ich werde im Folgenden noch ausführlicher auf die Methoden von „Teenager außer Kontrolle“ eingehen.