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Argumente gegen (Anti-)Terrorgesetze
Auf einer Mailingliste innerhalb der Piratenpartei wurde vor kurzem über allgemeine Argumente gegen neue bürgerrechtsfeindliche (Anti-)Terrorgesetze diskutiert. Meinen Beitrag möchte ich auch hier etwas breiter publizieren:
Verhältnismäßigkeit
Auch wenn dies zweifelslos die Zahl der Verkehrstoten reduzieren würde, käme niemand auf die Idee, deutschlandweit eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h einzuführen – denn das wäre völlig überzogen, die Schäden, die daraus resultieren würden, stehen in keinem Verhältnis.
Bei Anti-Terror-Maßnahmen, deren Wirkung im Vergleich zum Tempolimit überdies zweifelhaft ist, wird diese Abwägung leider gerne übersehen. Selbst wenn diese Maßnahmen tatsächlich Terroranschläge verhindern könnten, stehen die damit verbundenen Schäden, die an unserer Freiheit, an unseren Grundwerten entstehen, in keinem Verhältnis dazu.
Leider sind Einschränkungen der Bürgerrechte nicht so direkt spürbar, wie ein Tempolimit – doch wenn wir nach und nach unsere Bürgerrechte aufgeben, zerstören wir unsere freiheitliche Gesellschaft. Wir würden genau das tun, was die Terroristen möchten, aber mit ihren Bombenanschlägen ohne unsere ‚Hilfe‘ nie erreichen würden.
Zum Vergleich sollte man sich vor Augen führen, dass wir trotz 50.000 Toten im deutschen Straßenverkehr von 2001 bis 2010 nicht in blinden Aktionismus verfallen. Genau wie wir uns im Straßenverkehr auf sinnvolle und zurückhaltende Sicherheitsmaßnahmen beschränken, müssen wir dies auch bei der Bekämpfung von Terrorismus tun.
Genausowenig, wie wir auch auf diese riesige Anzahl Verkehrstoter mit einem Verbot des Straßenverkehrs oder einer bundesweiten Tempo-30-Zone reagieren, dürfen wir auf die bloße Gefahr von Terroranschlägen mit überzogenen Maßnahmen wie der Überwachung aller Bürger reagieren.
Terroristen können bloß töten. Nur überreagierende Politiker können unsere Gesellschaft zerstören. Von ihnen geht die wirkliche Gefahr aus – und gegen diese Gefahr wenden wir uns.
(Siehe auch dieser Beitrag von „Nano“)
Ursachen
Wir könnten auch aufhören, uns in jeden internationalen Konflikt einzumischen. Damit dürfte die Terrorgefahr deutlich stärker sinken, als durch die Einführung irgendwelcher Terrorgesetze. Ganz verschwinden wird sie jedoch nie – genauso, wie man selbst mit den strengsten Gesetzen nie alle Anschläge verhindern können wird.
Selbstverständlich ist es wünschenswert, die Freiheit von Menschen in anderen Ländern zu schützen und zu fördern. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass die Folgen dieser Einsätze unsere eigene Freiheit gefährden. Solange die einzige Antwort, die wir auf eine leicht gesteigerte, abstrakte Terrorgefahr kennen, ein drastischer Abbau unserer Bürgerrechte ist, können wir uns solche Einsätze einfach nicht leisten.
Wirkungen und Nebenwirkungen
„Herr Nachbar, was machen Sie da in ihrem Garten?“
„Ich streue Pulver gegen Elefanten.“
„Aber hier gibt es doch gar keine Elefanten!“
„Na dann sehen Sie mal, wie das Pulver wirkt!“
Genauso wie der Nachbar sein Elefantenpulver streuen Innenminister gerne (Anti-)Terrorgesetze, deren Wirkung recht zweifelhaft ist. Wenn es dann gar keine Terroranschläge gibt, wird das als Zeichen gewertet, dass die Gesetze wirken, und man ganz dringend noch mehr davon braucht. Über Nebenwirkungen, wie den Abbau unserer Freiheitsrechte, macht man sich hierbei keine Gedanken.
Die wenigen versuchten Terroranschläge, die es in Deutschland gab, hatten meist von vorne herein wenig Aussicht auf Erfolg – und wurden meist nicht mit Hilfe der neuen Befugnisse aus den Terrorgesetzen aufgedeckt, sondern durch andere Mittel.
Die Mittel aus den Terrorgesetzen hingegen werden immer wieder eingesetzt, um unschuldige Bürger auszuspähen – wie man am zum Beispiel Handydatenskandal in Dresden sehen konnte.
Der Begriff „Antiterrorgesetze“ wurde in den Medien ab und zu als „Terrorgesetze“ abgekürzt. Eines Tages fiel jemandem auf, dass diese Bezeichnung eigentlich viel passender ist, weil erst diese Gesetze die eigentliche Wirkung des Terrors entfalten und sie durch die Einschränkungen der Bürgerrechte die Bevölkerung terrorisieren. Daher steht auch bei mir das „Anti“ in Klammern (und manchmal gar nicht) da.
Sicherheitskontrollen kosten Menschenleben
Dieser Artikel gammelt nun schon seit über einem halben Jahr im Entwürfeordner vor sich hin. Angesichts aktueller Nachrichten, die von einer erhöhten Gefährlichkeit von Nacktscannern sprechen, möchte ich ihn endlich ausgraben.
Im Jahr 2000 gab es 1,6 Milliarden Flugpassagiere (Quelle, mehrfach fliegende Personen werden natürlich auch mehrfach gezählt). Ausgehend von dieser Zahl lassen sich nun wunderbare Berechnungen anstellen:
Angenommen durch die Einführung einer schärferen Sicherheitskontrolle verlängert sich die Dauer, die ein Passagier in der Kontrolle (inkl. Warteschlange) verbringt, im Weltdurchschnitt um eine Minute. Das ist schnell erreicht, denn selbst wenn die Kontrolle an sich schnell geht, können auch kleine Verzögerungen die Schlangen schnell wachsen lassen, wenn sie nicht durch mehr Personal kompensiert werden. Insgesamt würden die Passagiere dann 1,6 Milliarden / (60*24*365) = 3044 Jahre an Lebenszeit zusätzlich in den Sicherheitskontrollen verbringen. Bei einer Lebenserwartung von 85 Jahren wären das ca. 36 Menschenleben für eine Minute längere Kontrollen.
Natürlich mag es unpassend erscheinen, bei Terroranschlägen getötete Menschen und in Warteschlangen verschwendete Menschenleben zu vergleichen. Ein deutlich direkteres Beispiel kann daher an der (inzwischen nicht mehr ganz) aktuellen Nacktscanner-Debatte gegeben werden.
Es existieren drei Typen dieser Scanner. Passive Terahertzscanner fangen nur vom Körper sowieso abgestrahlte Strahlung auf und sind rein vom gesundheitlichen Standpunkt unproblematisch. Aktive Terahertzscanner senden selbst extrem hochfrequente elektromagnetische Wellen aus, die als harmlos gelten, auch wenn sie noch nicht abschließend erforscht sind. Der dritte Typ arbeitet mit Röntgenstrahlung, deren Gefahren recht gut bekannt sind. Dieser Typ soll in der EU nicht eingesetzt werden, ist in den USA aber bereits im Einsatz.
Die Strahlenbelastung soll dabei laut der aktuellen Nachricht nach Herstellerangaben (meine früheren Zahlen waren niedriger!) 0,1 bis 0,2 Mikrosievert. Klingt nach wenig, und ist es auch – die Hintergrundstrahlung ist deutlich stärker, insbesondere bei Flügen in großen Höhen. Die Gefährlichkeit von Strahlung wird meist als linear angesehen, d.h. zehnmal so viel Strahlung bedeutet zehnmal so viele Tote. Das individuelle Risiko, durch die Spätfolgen eines solchen Scans ums Leben zu kommen, ist aufgrund der geringen Strahlungswerte vernachlässigbar. Generell geht man davon aus, dass langfristig eine Bestrahlung mit 1 Sievert für rund 5% der Bestrahlten tödliche Folgen hat. (siehe Wikipedia) Bei angenommenen 0,2 Mikrosievert pro Scan würde der flächendeckende Einsatz von Röntgen-Nacktscannern somit 0,0000002 * 1600000000 * 5% = 16 Menschen pro Jahr durch Strahlenspätfolgen das Leben kosten. (Ganze Rechnung via Google zum nachprüfen)
Das setzt natürlich voraus, dass alle Passagiere mit Backscatter-Röntgennacktscannern geprüft würden – aber die Zahl könnte durchaus größer sein als die Zahl der Menschenleben, die man durch möglicherweise verhinderte Terroranschläge rettet. Bei dieser Berechnung bin ich aber von den allgemeinen Faktoren für Strahlenschäden ausgegangen, die für eine gleichmäßige Verteilung gelten. Die aktuellen Meldungen sprechen jedoch davon, dass durch die Bündelung der Strahlenbelastung auf der Haut das Risiko weiter steigt, sodass die tatsächliche Gefährdung deutlich größer sein dürfte.
Die gerne aufgestellte Behauptung, die Strahlung bei Nacktscannern sei so gering, dass sie völlig ungefährlich sei, ist völliger Unsinn. Das Risiko mag für den einzelnen Passagier nicht ins Gewicht fallen, das stimmt. Aber es gibt nach der derzeitigen Lehrmeinung keine „ungefährliche“ Strahlendosis – jede Strahlung erhöht das Risiko, egal wie gering sie ist, was auch das Bundesamt für Strahlenschutz so sieht: „Es gibt keine sichere Schwelle, unterhalb derer kein gesundheitliches Risiko mehr bestehen würde“.
Sauerland-Zelle nur Medientheater?
Ich bin bei Verschwörungstheorien generell sehr vorsichtig und zurückhaltend. Deswegen habe ich mich auch zurückgehalten bei der Diskussion, wie gefährlich die Sauerland-Terrorgruppe wirklich war, inwiefern da Geheimdienste verstrickt waren und ob es nur ein Fake zum Durchdrücken von Anti-Terror-Gesetzen war. Jetzt hat aber der Deutschlandfunk eine interessante Reportage veröffentlicht: „Ein Käfig voller Enten?“ (Ein Transkript der Sendung wird auf der verlinkten Seite freundlicherweise angeboten.)
Darin wird beschrieben, wie die Bedrohung durch die Sauerlandzelle weit übertrieben dargestellt wurde, diverse Verstrickungen von Geheimdiensten werden angedeutet, und es wird recht offen vermutet, dass das Ganze ein großes Medientheater war um eine nicht vorhandene Gefahr zu suggerieren und darüber an Unterstützung für neue „Sicherheits“gesetze zu kommen. Die Bombenbauanleitung war genauso wie das Material wohl unbrauchbar, an der Existenz der angeblichen Drahtzieherorganisation bestehen starke Zweifel – und in den Medien bekommt man davon nichts mit, immer nur „Terror Terror Gefahr Gefahr Schäuble hilf“.
Die Vermutung lag eigentlich auf der Hand und kursierte schon lange im Netz. Das Besondere an dieser Reportage ist, dass das nicht in irgendeinem durchgeknallten Verschwörungsblog auftaucht, sondern im zum Deutschlandradio gehörenden Deutschlandfunk. Das Deutschlandradio ist öffentlich-rechtlich und quasi die Radiovariante von ARD und ZDF. Da der Bericht also aus einer seriösen Quelle stammt und meiner Meinung nach viel zu unbekannt ist, weise ich hier darauf hin und bitte darum, den Hinweis zu verbreiten.
Übrigens: Auch bei den Terroristen in New York werden die Vermutungen laut, dass ohne die fleißige Unterstützung von Geheimdiensten die Terroristen schlicht zu unfähig gewesen wären, das Ganze also auch nur Theater war.
Infos frisch vom BKA
Ich hatte das große Glück, vor einer Woche einen Vortrag des Vizepräsidenten des Bundeskriminalamtes, Prof. Dr. Jürgen Stock, hören zu dürfen. Der Vortrag war sehr interessant und informativ, und ich möchte hier einen kurzen Überblick geben, da der Vortrag leider nur in einem kleinen Rahmen stattfand. Bei dem Vortrag ging es um die Kriminalitätsbekämpfung im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit.
Zunächst hat Prof. Stock deutlich gesagt, dass Deutschland eines der sichersten Länder ist und die Kriminalität stetig zurückgeht. Der Rückgang von 6,75 Mio. Delikten im Jahr 1993 auf 6,3 Mio. im Jahr 2006 wurde leider anhand eines Diagrammes gezeigt, dessen Y-Achse von 6 bis 7 Mio. ging – auf den ersten Blick sah es also so aus, als wäre die Kriminalitätsrate um über 30% zurückgegangen. Die Jugendkriminalität soll übrigens entgegen dem Eindruck, den man aus den Medien erlangen könnte, eher abnehmen, dafür werden immer mehr Bagatellen auf dem Rechtsweg gelöst (ein Kind, welches einem anderen beim Spielen im Sandkasten die Schippe wegnimmt, begeht rein rechtlich gesehen unter Umständen einen Raub).
Der Terrorismus hingegen nimmt zu, so soll es weltweit 2005 zu ca. 2000 Terroranschlägen gekommen sein, während es im Jahr 2001 „nur“ ca. 700 waren. Der Großteil davon passiert aber in instabilen Ländern oder in Afghanistan oder im Irak. In der EU soll es entweder 2005 oder 2006 (bin mir nicht mehr sicher) zu 500 Terroranschlägen gekommen sein. Leider habe ich vergessen zu fragen, was dabei als Terroranschlag zählt – schließlich wurden lange Zeit auch die von der „militanten gruppe“ angezündeten leeren Autos dazu gezählt. Es soll derzeit übrigens ca. 230 terrorbezogene Ermittlungen in Deutschland geben.
Noch viel interessanter aber war die Erwähnung der Tatsache, dass fast jeder Mensch in seinem Leben irgendeine Straftat begeht. Wenn also alle Straftaten bekannt würden, wäre das nicht unbedingt im Sinne der Gesellschaft, da sowohl die Polizei überlastet würde als auch fast jeder betroffen wäre.
Weiterhin wurde erwähnt, dass bei einer repräsentativen Umfrage die deutsche Bevölkerung ein hohes Vertrauen gegenüber der Polizei hatte – mehr, als gegenüber dem Bundespräsidenten oder dem Bundesverfassungsgericht (wobei ich allerdings davon ausgehe, dass das auch am mandelnden Bekanntheitsgrad bzw. Mangel an Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit liegen könnte – die Polizei kennt jeder und sieht jeder oft, den Bundespräsidenten hingegen weniger).
Als großes Problem wurde die zunehmende Internetkriminalität dargelegt. Dabei geht es aber nicht (nur) um ein paar eBay-Betrügereien, sondern eher um gezielte DDoS-Angriffe (bei denen Kriminelle fremde Server überlasten, meist wird dann Geld erpresst) und ähnliche Aktivitäten großen Ausmaßes.
Sehr begrüßenswert fand ich, dass Prof. Stock selbst bei den Personen, die im September mit einigen hundert kg Wasserstoffperoxid in Oberschledorn aufgegriffen wurden, (sinngemäß) von „mutmaßlichen Terroristen“ sprach, also die Unschuldsvermutung hochhielt – schließlich sind diese Personen noch nicht verurteilt. Insbesondere in diesem Fall hat es mich sehr positiv überrascht – bleibt zu hoffen, dass es beim BKA und in der Politik noch viele solcher Menschen gibt.
Die „homegrown terrorists“, also erst in Deutschland radikalisierte Menschen, sollen nicht nur aus eher fundamentalistischen, schlecht integrierten Kreisen stammen, sondern oft auch vorher gemäßigte, gut integrierte Bürger gewesen sein. Das bedeutet dann wohl, dass jeder ein potentieller Terrorist ist.
Auch das Thema Internet, auch bekannt als „Fernuniversität des Terrors“, wurde aufgegriffen. Diesen neuen „Fachbegriff“ für das Netz hat Prof. Stock auch angemessen gewürdigt, nämlich dargelegt, was es für eine Übertreibung sei. Das Internet wurde wiederholt als eine sehr gute Einrichtung bezeichnet, auch wenn Terroristen darüber Bomebenbaupläne bekommen können, wie es wohl im Kofferbomber-Fall passiert ist. (Dabei möchte ich nochmals daran erinnern, dass die Kofferbomben nicht funktionstüchtig waren – das kommt davon, wenn man jeden Scheiß, den man im Internet findet, gleich nachbauen muss, und das ist der Grund, warum ich nicht besonders viel Angst vor Terroristen habe, die sich ihre Bastelanleitungen aus dem Netz holen – eine nicht zu unterschätzende Gefahr dürfte aber darin liegen, dass sie sich bei der Herstellung versehentlich selbst in die Luft jagen und noch ein paar Nachbarn mitnehmen.)
Genauer erläutert wurde auch die Trennung zwischen den Geheimdiensten (BND, Verfassungsschutz, MAD) und den Polizeibehörden – obwohl eine strikte organisatorische Trennung herrscht, wird ein sehr reger Datenaustausch betrieben, z. B. auch über das „Gemeinsame Terrorabwehrzentrum“ und die Anti-Terror-Datei oder europaweit über das Schengener Informationssystem. Wie stark das jetzt in die – übrigens nicht im Grundgesetz verankerte – Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten verletzt, die aufgrund von schlechten Erfahrungen eingeführt wurde, muss jeder selbst entscheiden. Es werden sicher nicht Polizei und Geheimdienst zusammengelegt, allerdings entsteht schon eine gewisse Kooperation.
Sehr interessant fand ich die Aussage, dass die USA Fahndungsdaten nur bekommen, wenn sie versichern, die unter Zuhilfenahme solcher Daten gefassten Täter nicht zum Tode zu verurteilen. Allerdings empfand ich diese Betonung, dass Deutschland auf seinen Werten auch gegenüber den USA beharrt, nicht wirklich als zufriedenstellende Antwort auf die Frage, ob denn durch die Anti-Terror-Maßnahmen nicht die Gesellschaft, die damit geschützt werden soll, zerstört wird. (Stichwort „Freiheit zu Tode schützen“)
Einsehen musste allerdings auch ich, dass präventive Maßnahmen, so unschön sie sein mögen, gegen den Terror wohl leider unerlässlich sind. Einem Selbstmordattentäter ist es weitgehend egal, dass auf Mord eine lebenslange Haftstrafe steht.
Die Statistik des DNA-Abgleichs mit den Datenbanken aus Österreich fand ich auch sehr interessant: Von ca. 2000 Treffern (die teilweise Spuren einer anderen Person, teilweise aber auch nur anderen Spuren zuordneten) entfielen ca. 120 auf schwere Verbrechen wie Tötungsdelikte, gemeingefährliche Straftaten, Entführungen etc. – der Rest entfiel zu einem großen Teil auf Diebstähle und ähnliche Straftaten.
Zum Thema „Bundestrojaner“ gab es ebenfalls Informationen. Auf die Frage, warum das Teil weiterentwickelt wird, obwohl es offiziell noch nicht beschlossen sei, und ob es inoffiziell vielleicht nicht doch schon beschlossen ist, gab es leider wie erwartet nur die Antwort, die man auch in den Medien zu hören bekommt: Das BKA will für den Fall, dass die Erlaubnis eintrifft, schon vorbereitet sein. (Schade aber, dass so Steuergelder verpulvert werden, wenn die Erlaubnis nicht erteilt wird, und vor allem, dass so Tatsachen und Missbrauchsmöglichkeiten – z. B. illegale Benutzung – geschaffen werden.)
Für das Onlinedurchsuchungs-Gesetz aus NRW gab Prof Stock eine negative Prognose ab, da es schlecht gemacht sei. Dennoch zeigte er sich zuversichtlich, was den bundesweiten Bundestrojaner betrifft, allerdings nur unter strengen Auflagen (Richtervorbehalt, nur bei schweren Straftaten, etc.). Er betonte nochmals die Notwendigkeit von Online-Durchsuchungen, weil bereits im Oberschleedorn-Fall viele Beamte gebunden waren, oft die Gefahr herrschte, die Täter zu verlieren und diese die Beobachtung durch die Polizei sogar bemerkt und ignoriert haben sollen.
Schön fand ich das „Geständnis“, dass gegen moderne Verschlüsselungsmethoden das BKA kaum Chancen hat, und das es aussichtslos ist, das Internet zensieren zu wollen (eine Einsicht, die sich leider noch nicht weit genug herumgesprochen hat).
Als Prof. Stock erwähnte, dass die Bezeichnung „Bundestrojaner“ eigentlich falsch sei und der korrektere und bessere Begriff „Remote Forensic Software“ lauten würde, überraschte mich das größtenteils aus nicht sehr IT- und internetnahen Menschen bestehende Publikum positiv mit lautem Gelächter.
Äußerst bedenklich fand ich allerdings einige Äußerungen aus dem Publikum, welches durchaus aus nicht gerade dummen oder ungebildeten Leuten bestand – da wurden Forderungen nach Zensur laut, der Föderalismus solle aufgegeben werden, da er die Anti-Terror-Maßnahmen behindern könne, und um Leben zu retten wäre ja jedes Mittel recht, Unschuldige hätten ja nichts zu verbergen. Sehr begrüßenswert fand ich die Reaktion von Prof. Stock auf diese Äußerungen, der diese Forderungen zurückwies und dagegen argumentierte. Er kritisierte dabei die „Dammbruchgefahr“ sowohl durch die „Nichts zu verbergen“-Schreier als auch durch Projekte wie z. B. den Gesichtserkennungs-Versuch am Bahnhof in Mainz (der übrigens zum Glück gründlich misslang).
Ebenfalls positiv empfand ich, dass erwähnt wurde, dass immer auch Unschuldige mit überwacht und/oder ausgeforscht werden, wenn sie ohne es zu wissen mit einem Terrorverdächtigen Kontakt hatten und dessen Umfeld geprüft wird. Mindestens genauso gefiel mir die Aussage, dass das BKA kein Interesse daran hätte, die Vorratsdaten für minder schwere Fälle einzusetzen (es sei hier nochmal daran erinnert, dass die meisten Menschen sich irgendwann irgendwie strafbar machen) – die Entscheidung des Gesetzgebers, den Zugriff auf die Vorratsdaten zur Aufkärung aller mittels Telekommunikation begangener Straftaten (also auch z. B. Beleidigungen per E-Mail oder Urheberrechtsverletzungen) kommentierte Prof. Stock damit, dass dies möglicherweise ein korrekturbedürftiger Fehler sei, den er sich nur durch die vergleichsweise geringe Eingriffstiefe erklären konnte (da „nur“ die Verbindungsdaten und keine Inhalte erfasst werden). Ebenso begrüßenswert fand ich, dass klar wurde, dass er durchaus die Bürgerrechte berücksichtigte und ihm einige Einschränkungen selbiger sichtlich missfielen.
Weniger schön fand ich hingegen die Äußerung, dass die Online-Durchsuchung wünschenswert sei, weil sie verdeckt ist (und nicht nur, weil man so an verschlüsselte Daten kommt). So ein klares Bekenntnis zu geheimen Durchsuchungen hätte ich nicht erwartet, da das ein grundlegendes Prinzip unseres Rechtsstaats auf den Kopf stellt. Auf den Hinweis, dass die Forderung nach verdeckten physikalischen Durchsuchungen da naheliegend sei, gab es eine quasi-Bestätigung und die Aussage, dass es politisch ja ungeschickt wäre, zu viel auf einmal zu fordern. (Geheime Durchsuchungen sind in Deutschland aufgrund der Erfahrungen mit der Stasi 1.0 nicht erlaubt.) Offenbar ist diese Meinung beim BKA nicht sehr verbreitet, denn genau diese Forderungen wurden gestern bekannt. Das Ganze hinterlässt daher einen sehr fahlen Nachgeschmack, genauso wie die Aussage, der Bundestrojaner sei vorerst nur gegen den Terrorismus gerichtet. Mal schauen, wie lange sich Schäuble an seine Aussage, die Onlinedurchsuchung nicht für die Steuerfahnung zu nutzen, noch erinnern kann.
Zum Fall rund um Andrej Holm und die „militante gruppe“ erhielt ich leider keine Stellungnahme, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt.
Der Vortrag und vor allem die (leider natürlich aufgrund der interessanten Themen nicht ausreichend lange) Möglichkeit, Fragen zu stellen, war sehr interessant, sehr überzeugend und erlaubte es mir, mich auch mal in die Position des BKA zu versetzen. Leider habe ich zu meinem großen Missfallen aber inzwischen gelernt, dass sich Worte und Taten oft unterscheiden.
Hoffnungsschimmer: Gerichte
Die Gewaltenteilung scheint zu funktionieren. In den letzten zwei Tagen haben Gerichte knapp ein halbes Dutzend Entscheidungen produziert, die irgendeine Art von verfassungswidrigem, unfairen, totalitären oder hirnrissigem Riesenunsinn verhindert haben. Ich sehe mich in meiner Meinung bestätigt, dass die Gerichte das einzige sind, was uns vor der inzwischen Amok laufenden Legislative und Exekutive schützt. Wenn da auch noch was schief geht, wars das mit Demokratie, Freiheit und Vernunft. Zu den einzelnen Entscheidungen:
Die „militante gruppe“ („mg“) ist keine Terrorvereinigung. Die mg hat ab und zu ein paar Autos von Organisationen, die ihr nicht passten (wie z. B. die Bundeswehr) angezündet. Da §129a StGB („Bildung einer terroristischen Vereinigung“) Sachen wie Mord, Entführung oder eben auch gemeingefährliche Brandstiftung, die dazu geeignet ist, die Bevölkerung erheblich einzuschüchtern, Behörden zu nötigen oder politische, verfassungsmäßige, wirtschaftliche oder soziale Strukturen zu schädigen (wobei dann eine erhebliche Schädigung eines Staates oder einer internationalen Organisation nötig wäre) vorraussetzt, und diee Ansprüche bei reinem Vandalismus nicht erfüllt sind, hat das BGH klar gemacht, dass die Ermittlungsbehörden hier viel zu weit gegangen sind (z. B. wurde ein Soziologe vollüberwacht, weil in seinen Abhandlungen die gleichen Wörter wie in den Bekennerschreiben vorkamen). Durch das Urteil wurden hohe Maßstäbe an die Anwendung des §129a gestellt, sodass der Einsatz dieses bisher als Gummiparagraph angesehenen Paragraphen als Universalkeule gegen alles, was der Polizei nicht passt, vielleicht nachlassen könnte.
Der BND muss einem bespitzelten Journalisten Akteneinsicht gewähren. Mal abgesehen davon, dass der BND Journalisten gar nicht bespitzeln sollte, ist diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sehr zu begrüßen. Damit wird dem BND klargemacht, dass auch er sich an die Gesetze halten muss und eben nicht machen darf, was er will.
Die Musikindustrie in den USA muss für ihre überhöhten Schadensersatzforderungen jetzt Belege liefern. Erfreulich, dass ein Richter jetzt endlich einsieht, dass 750 Dollar Entschädigung pro kopiertem Musikstück nicht unbedingt angemessen sind.
Auch die Pläne der US-Regierung, mal zu schauen, was die Bürger für Bücher bei Amazon kaufen, sind jetzt durch ein Gericht verboten worden. Was die Bürger lesen, geht die Regierung nämlich einen feuchten Dreck an, da mit solchen Daten leicht herausgefunden werden kann, wer welche politische Einstellung hat, und solche Listen können dann schnell zu Repression eingesetzt werden.
Zwar (noch) kein fertiger Gerichtsbeschluss, aber immerhin: Der Vizepräsident des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern hält die Vorratsdatenspeicherung für Verfassungswidrig – kein Wunder bei einer Maßnahme, die komplett überwacht, wer mit wem kommuniziert.
Es wäre schön, wenn kein Gericht nötig wäre, um solchen Irrsin zu blockieren. Sowas sollte gar nicht erst entstehen.
Ergänzung: Und das BKA darf auch nicht einfach mal sämtliche Post an eine Redaktion auf Bekennerschreiben durchsuchen, auch nicht bloß anhand äußerer Merkmale – so zumindest ein BGH-Richter, leider nur in einer nicht verbindlichen „rechtlichen Anmerkung“, sodass das BKA sich daran wohl nicht weiter stören wird.