Bundes-un-freiwilligendienst

Die Regierung ist überrascht – ohne Pflicht findet sich kaum noch jemand, der gerne Zivildienst machen möchte. Das hat sicher nichts damit zu tun, dass in der heutigen Gesellschaft alles schnell-schnell gehen muss, vor allem der Einstieg ins Berufsleben, nachdem man Turbo-Abi und Bologna-Studium in höchstens der vorgesehenen Zeit abgeschlossen zu haben hat.

Seltsam, dass der „Bundesfreiwilligendienst“ nicht genug Freiwillige findet, um Massen von zwangsweise verpflichteten Billigarbeitskräften zu ersetzen, oder? Sicherlich gab es Leute, die sich bewusst für den Zivildienst entschieden haben. Den Großteil dürften aber diejenigen bilden, die nicht durch den Schlamm robben und sich anbrüllen lassen wollen. Wer sich wirklich sozial engagieren möchte, dürfte das an anderer Stelle tun, statt freiwillig umsonst reguläre Arbeitsplätze zu ersetzen. Da hilft auch kein Gerede davon, wie wichtig (formal nachweisbares!) soziales Engagement im Lebenslauf ist.

Ich sehe drei Möglichkeiten, wozu das Ganze führen kann:

Im Idealfall würden die Zivi-Jobs durch reguläre, bezahlte Arbeitsplätze ersetzt. Das würde aber das Gesundheitswesen verteuern und das Geld müsste irgendwo herkommen. Da mal wieder Bundestagswahl ansteht und somit die FDP mal wieder Steuersenkungen braucht, ist das unwahrscheinlich.

Alternativ kann man natürlich das Gesundheits- und Pflegesystem noch weiter den Bach runtergehen lassen, indem die Stellen nicht ersetzt werden. Kranke und Pflegebedürftige bringen ja wirtschaftlich nichts, also kann man dort ja genausogut einfach sparen – so eine Denkweise würde zumindest zur Einstellung der schwarz-gelben Regierung passen. Aber die dritte Option ist viel verlockender:

Der Bundesfreiwilligendienst wird unfreiwillig. Diesmal nicht für Jugendliche, die man dringend über Turbo-Abi und Turbostudium schnellstmöglich zu wertvollen Arbeitskräften verarbeiten will, sondern für diejenigen, die gerade viele Anhänger der Regierungsparteien als wertlosen, asozialen, faulen Abschaum sehen: Arbeitslose. Diese Variante halte ich für sehr wahrscheinlich, denn die Regierung würde damit viele Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Die „faulen asozialen Schmarotzer“ bekommen unter allgemeinem Applaus der typischen Klientel von CDU/FDP endlich was zu tun, und können sich nicht in der „sozialen Hängematte ausruhen“. Indem ALG2-Empfänger zur Zwangsarbeit abkommandiert werden, gewinnen die Regierungsparteien unter ihrer Klientel deutlich an Zustimmung.

Wo der Staat ansonsten Geld für Arbeitskräfte ausgeben musste, kann künftig umso mehr gespart werden, während die „Freiwilligen“ diese Arbeiten übernehmen. Besser wird das Gesundheitswesen dadurch nicht (auch wenn man das natürlich gut behaupten kann, um Pluspunkte zu sammeln), aber vielleicht billiger. Die Mehrwertsteuern für Hoteliers sind ja immer noch viel zu hoch, oder?

Gleichzeitig „löst“ man das selbstgeschaffene Problem mit dem Mangel an Freiwilligen. Der Dienst wird weiter Bundesfreiwilligendienst heißen, aber er mehr zu einem Bundes(zwangs)arbeitsdienst verkommt. Verkauft wird das Ganze natürlich als Wiedereingliederungsmaßnahme o.ä., da mangelt es ja nicht an Kreativität. Vielleicht bleibt der Dienst auf dem Papier weiter freiwillig, aber die Teilnahme wird für viele Arbeitslose als Wiedereingliederungsmaßnahme angeordnet, oder als „freiwillige“ Möglichkeit angeboten, um ein niedriges Zusatzeinkommen zu erhalten und das ALG2 auf menschenwürdiges Niveau zu bringen. Alternativ wäre es auch denkbar, dass der Dienst das ALG2 weitgehend ersetzt, oder sich auch ohne direkte Intervention durch die ARGEn als schlecht, aber immerhin etwas bezahlte „Ersatzarbeit“ für Arbeitslose etabliert.

Das mag zwar alles nach einer guten Idee klingen. Die immer stärkere Einführung von Billigarbeit über 1-EUR-Jobs, Aufstocker, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und ähnliche Geschichten hat aber eher zu mehr Lohndumping und größerer Armut denn zu besseren Lebensbedingungen geführt. Für Menschen, die z. B. aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, dürfte das eine weitere Verschlechterung der Situation darstellen. Darunter fallen auch die, die durch die immer stärkere Beschleunigung (Turbo-Abi, Turbo-Studium) oder ihre Arbeit psychisch krank gemacht wurden (z. B. Burnout). Zudem dürften die Betroffenen kaum mit angemessenen Arbeitsbedingungen rechnen – schließlich hätten die un-freiwilligen Arbeiter keine Wahl und auch keine Mittel, sich gegen unmenschliche Behandlung zu wehren.

Der freiwillige Bundesfreiwilligendienst dürfte keine Chance haben. Das unausweichliche Scheitern, vielleicht von vorne herein einkalkuliert, wird hingegen eine willkommene Gelegenheit darstellen, Zwangsarbeit zu schaffen und den Sozialstaat weiter auszuhöhlen.

  1. 2011-07-01 um 19:38 GMT+0000

    Dann wird wohl mal wieder eine Klage vorm BVerfG fällig. Art. 12 GG, anyone? Oder noch eine Ebene höher, EU. Von Zwangsarbeit hatte ich es auch gerade: Zwangsarbeit in Ungarn geplant.

    Das Problem ist, daß sich gerade ein Hartzer den langen Klageweg oft nicht leisten kann, denn bis ein Gericht entschieden hat, ist dann schonmal die Wohnung weg … allein das Verfahren vor den Sozialgerichten dauert mal locker ein bis zwei Jahre. Ich habe gerade selbst eins laufen. Eingereicht vor einem Jahr, hieß es vor einem Monat, dieses Jahr gäbe es garantiert keinen Termin mehr, und wann nächstes Jahr, könne man nicht vorhersagen. Ach und übrigens streiche man gerade Stellen.

    Aber vielleicht gibt es da ja eine Möglichkeit, die Sache ein wenig abzukürzen. Bzw. je enger man uns die Schlinge um den Hals zieht, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, daß das jemand wirklich durchzieht.

    • Jan
      2011-07-01 um 19:44 GMT+0000

      Das lässt sich sicher geschickt umgehen – ich fürchte, der Paragraph zieht erst wenn man jemanden mit dem Gewehr im Rücken zur Arbeit zwingt.

    • pirat
      2011-07-03 um 14:22 GMT+0000

      Nein, die Stichwörter heißen hier Beratungskostenbeihilfe und Prozesskosstenbeihilfe. Da beim ALG2-Empfäbger nix zu holen ist, kann es ihm auch erstmal egal sein, ob er Zwischeninstanzlich verliert – dann wird halt Stundung/Ratenzahlung beantragt (und wohl auch gewährt, man weiß ja, dass nix zu holen ist) und gut ist.

      • Jan
        2011-07-07 um 10:53 GMT+0000

        Die Prozesskostenhilfe hilft dem ALG2-Empfänger aber nur im Hinblick auf die Prozesskosten – wenn das Amt die Zahlung von ALG2 inkl. Miete verweigert, hat der ALG2-(Nicht-)Empfänger erstmal kein Dach über dem Kopf und nichts zu Essen.

        • 2011-07-07 um 11:48 GMT+0000

          Eben, das ist der Punkt. Die lieben Mitarbeiter beim Amt denken sich währenddessen eine Menge wunderschöner Gründe aus, warum man jetzt mal eben alles zusammenstreichen kann. Und dann klage mal schön weiter, wenn Du auf der Straße sitzt. So nebenbei ist es natürlich mit einem Beratungshilfeschein auch schwieriger, einen guten Rechtsanwalt zu finden, denn nicht jeder wird sich für die paar Kröten engagieren wollen, die dabei rausspringen.

  2. pirat
    2011-07-03 um 14:23 GMT+0000

    @jan: Das Threading ist kaputt. Zumindest #4 sollte eigentlich Antwort auf #1 sein (habe extra noch mal genau drauf geachtet, den richtigen Link anzuklicken). Bitte nur eine Antwort freischalten und ggf verschieben, dass er als Antwort auf #1 angezeigt wird.

    • Jan
      2011-07-07 um 10:50 GMT+0000

      Das Threading ist intern richtig, sowohl mein Beitrag als auch deiner sind Antworten auf #1 – die Einrückung ist aber komisch, weil Beiträge von mir anders eingerückt werden (von rechts statt von links). Daran kann ich nix ändern.

  3. 2011-08-01 um 23:30 GMT+0000

    An sich bringt das ja auch nichts. Schliesslich haben den Zivi, die Leute ja aus freien Stücken gemacht.Sprich eine eigene Motivation war vorhanden.
    Würde man jetz Leute verpflichten hätte dies nur Zur Folge das aufgrund mangelnder Motivation ein rapider Abfall an Arbeitsqualität zu verzeichnen wäre

    • Jan
      2011-08-02 um 03:55 GMT+0000

      Hm, woher leitest du deine Annahme her, die Leute hätten den Zivi freiwillig gemacht? Ich schätze, dass ein Großteil den nur gemacht hat, weil die Alternative „Bundeswehr“ hieß. Freiwillig würd ich das nicht nennen.

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